Es war ein Mal eine kleine 5. Sie ging noch nicht zur Schule, denn sie war ja erst 5. Eines Tages kam sie vom Spielen nach Hause und fragte: „Opa, warum bin ich eine 5?“ „Tja“, sagte der Opa und setzte sich neben das Fenster in den schweren Polstersessel. Und während er nach einer Antwort suchte, kletterte die kleine 5 auf seinen Schoß. „Du bist eine 5“, begann Opa bedächtig. „Weil du als 5 geboren wurdest.“
Die kleine 5 dachte über diese Antwort nach. Und während sie das tat, drehte sie den großen roten Knopf an Opas Weste hin und her. Mit dem Zeigefinger der anderen Hand bohrte sie in der Nase. Nasebohren war beim Nachdenken immer die beste Hilfe. Vorsorglich kramte Opa in seiner Hosentasche schon mal nach einem Taschentuch. Aber da war keins.
„Bist du auch eine 5?“ fragte die kleine 5 und spielte jetzt mit beiden Händen an dem großen roten Knopf. Die Sache mit dem Taschentuch war somit erledigt. „Ja“, antwortete Opa und lächelte. „Wir sind alle 5en! Du, deine Mama, dein Papa, deine Oma und ich. Wir sind alle 5en.“
Der große rote Knopf an seiner Weste machte ihm jetzt langsam Sorgen. Die kleinen Hände seiner Enkelin strapazierten das schwarze Garn, das den Knopf bisher immer gut im Griff hatte, sodass es schon etwas locker wurde. Und dem großen roten Knopf war auch schon ganz schwindelig vom dauernden Hin-und-Hergedrehtwerden. Vorsichtig schob Opa seine großen Finger zwischen die Hände seines Enkels und hielt den Knopf fest. Woraufhin die kleine 5 ihre Hände auf die Knie legte.
„Opa, warum sind wir keine 7en?“ „Warum willst du denn eine 7 sein?“ fragte Opa erstaunt.
„Weil das ganz prima wäre“, sagte die kleine 5 und entdeckte, dass Opas Weste sehr grob gestrickt war und deshalb ihre Finger ausgezeichnet durch die Löcher der Maschen passten. Während sie probierte, wie viele Finger gleichzeitig durch ein Loch gingen, fuhr sie mit ihrer Erklärung fort. „Dann hätten wir den 7. Sinn, könnten über 7 Brücken gehen und hätten eine 7-Tage-Woche.“ Opa wusste schon lange, dass er einen besonders klugen Enkel hatte, trotzdem machte er große Augen, als er der kleinen 5 zuhörte. „Aber das haben wir doch auch so. Dazu brauchen wir keine 7en zu sein“, beschwichtigte er. „Oder wenn wir eine 13 wären, dann hätten alle Angst vor uns, denn 13 ist gaaanz furchtbar gefährlich.“ Bei dem langgezogenen „gaaanz“ hatte er vier Finger auf einen Schlag in ein Loch gekriegt. „Ja, ich weiß“, lachte Opa. „Und am Freitag dem 13. passieren einem die blödesten Sachen.“
Er fand es erstaunlich, dass nun die ganze Hand seines Enkels durch so ein kleines Loch geflutscht war. Nun, ja, die Weste war dehnbar, aber trotzdem ziemlich stabil.
„Oder ich möchte eine 6 sein“, sagte die kleine 5 und versuchte, die Hand wieder rauszuziehen. Ging aber nicht, und Opa musste helfen, wobei der froh war, dass die Oma nichts davon mitbekam. „Warum denn eine 6?“ fragte Opa neugierig. „Weil Papa sich immer freut, wenn er Fernsehen guckt und dann auf dem Tisch ein Sechserpack Bier steht“, antwortete die plötzlich unsichtbar gewordene 5, die ihren Kopf unter Opas Achsel geschoben und die eine Westenhälfte über ihr Gesicht gelegt hatte. Das Problem war ja folgendes: Kann man seine Nase durch so ein Loch in der Weste drücken und gleichzeitig vor jedes Auge ein Loch ziehen, sodass man auf seine Unterlippe gucken kann, wenn man diese weit genug nach vorne durch ein anderes Loch schiebt.
Opa musste lachen: „Das kann ich gut verstehen“, sagte er und wunderte sich darüber wie stabil das Garn war. „Du möchtest also lieber etwas anderes sein als eine 5. Wie wär’s denn mit einer 1000?“ Er schaute durch die Löcher in die hellblauen Augen seiner Enkelin. Die nickte zustimmend, wobei sie darauf achtete, dass ihre Nasenspitze im Loch stecken blieb. „Aber hast du dir schon mal überlegt, wie groß so eine 1000 ist? Da kommst du nicht so einfach hier durch die Zimmertür. Und in deine Kleider passt du auch nicht mehr. Du musst dir dann vom Schneider extra lange Hosen schneidern lassen, verstehst du? Das kostet ein bisschen was. Da reicht dein Taschengeld nicht.“
Die kleine 5 kam unter dem Arm hervorgekrochen und schaute ihrem Opa ins Gesicht. „Ja, aber vielleicht könnte ich eine 9-malkluge 9, oder eine 8-bare 8, oder eine einzigartige 1, oder ein 4-blättriges Kleeblatt sein.“ Bei jedem dieser Vorschläge tippte die kleine 5 dem alten Mann mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze.
„Oh, ja“, antwortete Opa. „Das sind alles wunderschöne Dinge. Nur du solltest dir lieber nicht wünschen ein Kleeblatt zu sein. Denn wenn du dann auf der Wiese stehst, kommt ein Schaf und frisst dich auf.“
Nachdem sich die kleine 5 gerade vorgestellt hat, wie sie als Kleeblatt im Maul eines Schafes verschwindet, griff sie wieder nach dem großen roten Knopf und fragte: „Opa, bist du gerne eine 5?“ Opa atmete tief ein und sagte stolz: „Oh, ja, das bin ich.“ „Und warum?“
Opa lehnte sich nach hinten, zog die kleine 5 zu sich heran und gab ihr einen Kuss mitten auf ihren Haarschopf. Den Kopf an Opas Brust gelegt, begann die kleine 5 wieder damit den großen roten Knopf zu drehen.
„Weißt du wie viel Zehen du an jedem deiner Füße hast?“ fragte Opa. Die kleine 5 nickte und sagte: „Fünf.“ „Weißt du wie viel Finger du an jeder Hand hast?“ Wieder nickte die kleine 5 und antwortete: „Fünf.“ „Siehst du“, sagte Opa zufrieden. „Du könntest nicht laufen, wenn dein Fuß nicht fünf Zehen hätte. Du könntest nicht mit dem schönen roten Knopf spielen, wenn deine Hand nicht fünf Finger hätte. Und ich könnte meinem kleinen Schatz hier nicht den Kopf streicheln, wenn meine Hand keine fünf Finger hätte.“
Bei diesen Worten fielen der kleinen 5 die Augen zu. Und in ihrem Traum war sie ganz stolz eine 5 zu sein. Kurz darauf war auch Opa eingenickt. Er öffnete nur für einen Moment die Augen, als er durch ein kleines Geräusch kurz gestört wurde. Das war, als der große rote Knopf, der übrigens fünf Löcher hatte, auf die Holzdielen fiel und unters Sofa rollte.
Eine liebenswerte Geschichte, die ich mit Genuss gelesen habe; mit einer wunderschönen Botschaft für die Kleinen, aber auch die Großen. Hat mir sehr gut gefallen :)
sehr schön und flüssig geschrieben und gerne gelesen. Dein Schreibstil erinnert mich an irgend jemandes, aber momentan komme ich noch nicht drauf, wer das sein könnte. Dein Profil hat zwar erst einen Stern, aber für die Geschichte kriegst Du von mir glatte fünf.
Nun, werther Ringelroth, ein wirklich gutdurchdachtes und kindgerechtes Zahlenmärchen, wobei auch Erwachsene bestimmt auf ihre Kosten kommen. Und wenn die Kleine 5, grösser geworden ist, wird es bestimmt 1000undeinenacht lesen!
Doch vielleicht will es ja garnicht grösser werden!
Mit freundlichen Abendgrüssen baroque
´Wache stets als ein Kind auf, um die Welt aufs Neue zu entdecken!´ (baroque)
Hallo baroque, danke für deinen Kommentar. Nein, ärgern wollte ich dich keinesfalls, und für das Wochenende ist auch schon wieder Abkühlung und Regen eventuell sogar Schneeregen bis ins Flachland vorher gesagt. Auch für unsere Breiten ist dieses warme Wetter nicht "normal", aber was ist schon "normal" - die ganze Welt ist bekloppt, wieso sollte das Wetter eine Ausnahme machen?
Alles was zu dumm ist, um gesprochen zu werden, wird gesungen. (Voltaire)
Schreiben ist einfach. Man muss nur die falschen Wörter weglassen (Mark Twain)
Lieber Ringelroth, du hast mir mit der liebreizenden Geschichte ein großen schönen Moment geschenkt. Ich bekomme grade das Dauerlächeln nicht mehr aus dem Gesicht. Ich habe auch eine kleine Enkelin, die aber grade erst ein Jahr alt wird. Doch ihr neugieriger und aufmerksamer Blick sagt mir, dass sie wohl mal auch so eine pfiffige kleine Nervensäge werden wird, wie die kleine 5 in deiner Geschichte. Ich hab mir richtig vorstellen können, wie die kleinen Fingerchen in Opas Strickweste herumbohren und der rote Knopf entnervt abfällt und sich unterm Sofa versteckt.... und .... und - wirklich schöne Bilder. Danke!
Liebe masch, ich danke dir herzlich für deinen netten Kommentar. Dieses Dauerlächeln kenne ich, ich hatte es beim Schreiben dieser Geschichte. Natürlich sah ich mich vor meinem geistigen Auge, mit meinem damals noch gar nicht geboreren Enkel. Mittlerweile sind es derer drei - Mädchen 3einhalb Jahre, Mädchen 9 Monate, Junge 4 Monate. Das wird ein arges Gedränge auf dem Schoß, da muss, glaub ich, die Oma helfen. Wünsche dir noch viel Spaß mit dem Nachwuchs Gruß Ringelroth
Schreiben ist einfach. Man muss nur die falschen Wörter weglassen (Mark Twain)
Hallo Ringelroth Eine sehr schöne Geschichte. Ich mag es wie du beschreibst, dass die kleine mit der Kleidung des Opas herum experimentiert. Ich arbeite mit Kindern und kann ein solches Verhalten immer wieder beobachten. Konnte mir das richtig bildlich vorstellen. Außerdem mag ich die Botschaft, die dahinter steckt. super gelungen.
Hallo Mila, ich freue mich, dass dir meine kleine Geschichte gefallen hat. Es gibt doch kaum etwas Schöneres, als Kinder dabei zu begleiten, die Welt und das Leben zu entdecken. Gruß Ringelroth
Schreiben ist einfach. Man muss nur die falschen Wörter weglassen (Mark Twain)