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Die ersten Tage habe ich damit verbracht ziellos umher zu wandern, um die Farben in mich aufzusaugen. Ich denke, man kann es mir nicht verübeln. Ich war immer der Ansicht gewesen, ich hätte die Erinnerung tief in meinem Herzen bewahrt, aber sie ist im Laufe der Jahre im wahrsten Sinne des Wortes verblasst. Damals, als das Grauen seine wörtlichen Bedeutung manifestierte, hatte ich mich damit getröstet, dass es am Ende nur drei Farben sein würden, die verloren gingen. Rot, Grün und Blau. Die übrigen Schattierungen stellen nichts weiter dar als unscharfe Mischungen, denen es an einem klaren Bekenntnis zu einer Grundfarbe mangelt. Ein schwacher Trost, denn jede Emotion hat ihren Farbton und jede Farbe erweckt eine Emotion zum Leben. Vielleicht nicht bei Jedem auf die selbe Art und Weise, aber dennoch tut sie es, auch wenn man sich dessen kaum bewusst ist. Für euch, in Farbe badenden ist es noch schwerer zu erkennen als für mich.

Sollte ich versagen, was in Anbetracht der Umstände wahrscheinlich ist, werdet ihr schon viel zu bald erfahren müssen, was ich damit meine. Ich war knapp 30 Jahre alt, als es begann. Das war in wenigen Monaten. Bis auf ein paar Verschwörungstheoretiker wollte es zunächst niemand wahr haben. Die Apparate bestanden stoisch darauf, dass sich an den Farben nichts geändert hatte. Die Drei und alles dazwischen waren technisch gesehen unverändert. Dennoch schlich sich bei den Menschen das unverkennbare Gefühl ein, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. »Seltsames Licht«, war der erste Impuls, aber keine Erklärung und es wurde schlimmer. Erklärungsversuche wurden in immer schnellerer Folge unternommen und verworfen. Es kamen Brillen auf den Markt, mit denen sich die Farbbrillanz künstlich auf ein natürliches Maß verstärken ließ. Ein Konzern verdiente Milliarden an einem Impfstoff, der den seiner Meinung nach existierenden Entbuntungsvirus ausmerzen sollte. Wer kann es den Menschen verdenken, dass sie nach Strohhalmen griffen. Ich war in der Halbgrauzeit wie alle anderen versessen auf Teint-verstärker, Echtfarbtapeten und Intensivierungslampen. Es verlief schleichend, aber eines Tages mussten wir uns eingestehen, dass es keine Farbe mehr auf unserem einstmals blauen Planeten gab. Niemand wusste, wohin sie verschwunden war und nur Wenige glaubten noch, dass sie zurück kehren würde. Doch wir hatten das Tal noch nicht durchschritten. Die relative Fülle an Graustufen, mit der wir uns unter Umständen hätten arrangieren können, schwand nun ebenfalls dahin. In den sechs Jahren nach eurem Heute, verengte sich der Weltkontrast, hin zu einem schmalen Band um das Endgrau – irgendwo zwischen dem Weiß und Schwarz der Vergangenheit. Das öffentliche Leben kam zum erliegen. Die Menschen standen neben sich. Für eine Realität ohne Farben scheinen wir nicht geschaffen zu sein.

Mit knapper Not gelang es einem, in aller Eile zusammengestellten und mit großzügigen Mitteln ausgestatteten Team von Wissenschaftlern, die Maschine zu entwickeln, die mich schließlich hier her gebracht hat, um die Ursache des Grauens aufzuspüren und einen Weg zu finden, um die mir bekannte Zukunft zu verhindern.

Ich gehe davon aus, dass dort, wo ich her kam schon bald alle Seelen ausgelöscht sein werden oder sich in ihrer Verzweiflung selbst auslöschen werden. Das bisschen Hoffnung, das meine Mission ihnen gab, wird nicht lange halten. Bei meiner Ankunft fühlte ich mich als Retter – als die letzte Hoffnung der Menschheit.

Nun, da ich verstehe, erübrigen sich alle Worte.

- So weit ich mich erinnern kann, hatte ich den Text auch mal im alten Forum gepostet, ist jedenfalls aus 2011 -

Das ist aber ein bedrückender Text den du uns da auftischst. Du schilderst die Sachlage realistisch und glaubwürdig, sodass ich tatsächlich etwas traurig geworden bin. Ich freue mich auf morgen. Vor allem auf den blauen Himmel, den ich hoffentlich sehen werde :)

Dankeschön Pol Urbany!
Mir gehts einfach immer richtig gut, wenn ich so melancholisch rum phantasieren kann. Je düsterer, desto besser. Ich will aber lieber gar nicht wissen, woher das kommt :)

Woher das kommt? Na, aus Deinem Kopf. Gut gedacht.

Bester Gruß, Karin