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I. Berlan oder der Herr Max


Was, Jungs, in meinem Nachbargarten zu beobachten war in diesem Frühjahr, das geht unter keine Kuhhaut.

Abgetrennt sind Herr Max und ich von einem spießigen Jägerzäunchen, welches bereits ein wenig verwittert ist und über den es sich herrlich tratschen lässt:

Über Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle - aber beinahe immer liebevoll mit etwas Bosheit im Unterton - wenn uns jemand nicht passt.

Die letzte Volkszählung ergab exakt siebzig Einwohner bei uns in Berlan: Nicht eben eine Großstadt also, sondern ein Kuhdorf mit frischem Leitungswasser aus Frankfurt sowie 220 Volt Phase zumindest bei allen, deren Tiere genug Milch geben für die Bezahlung aller kleinkarierten Rechnungen.

Ein Windpark surrt laut um die Ecke, man hatte uns dazu breitgeschlagen, gekauft eben von "Energy-Wind": Einen Riesen gab es für jeden für die Erduldung - aber fast alle aus Berlan waren sie schnell weg, vor allem der Trinker Johann - der war mit den tausend Euro nach Frankfurt gefahren (mit Taxi! - ging in 'nen Puff und fand sich am nächsten Morgen nackig im Wald wieder hihihi.

Aneliese war klüger und zog weg. Klüger? Sie geht jetzt in Mainhatten anschaffen (wird zumindest geredet,weil wohl ihre Wohnung in F zu teuer ist).

Hanna hat die Kurve bekommen und ist jetzt bescheidene Selbstversorgerin. Aber bloß Möhren an Petersilie? Oder mal umgekehrt?

Hmm.

Und so weiter und so fort, will heißen: Was bei Weltbürgern ein Lottogewinn anstiftet, hatte bei uns dieser Windpark angerichtet. Im Kleinen, aber garnicht weniger schlimm.

Zurück zum eigentlichen Plot: Alles fing damit an, dass Max sich einen kleinen Gartenteich zurechtbuddelte. Eigentlich wohl was für Städter und so Quark und ha! Er buddelte also und gebrauchte schließlich gar keine Teichfolie, sondern stieß auf ein rundes Ding wohl aus der Jugendstilzeit.

Ach jemine - auch ich fand das doch interessant - „Aber Max, sach mal, fiindest Du denn nicht, dass Du da etwas übertreibst, he?“

Da bekam er glühende Augen „Übertreiben? Ha! Das ist doch erst der Anfang, Herr Nachbar!!“.

Bereits da wurde mir bange um meinen Freund - er schien verändert - es musste an der Aura des Jugendstils liegen, kenne mich da nicht so aus, bin aber hochsensibel trotzdem.

Ich selbst bin hier geboren und werde vielleicht einmal hier sterben - zwischendurch heiraten (der Genpool ist nicht groß) oder dafür eben eine Schäfin vernaschen. Täglich und mit Zigarette danach!

Ich heiße Jürgen und bin sechsundfünfzig, „blutjung“.

Nachbar Max ist vierundvierzig. Er ist sehr mager, quirlig eben und eher groß von Statur: Eigentlich ein Womanizer (sagt man das so?). Aber wie gesagt: Unser Datenpool hier...

Mein Schwein Noname ließ ich schlachten und erzielte einen guten Preis dafür: Es langte unter anderem für ein Busticket nach F sowie einer Fünfliterdose Zaun-und Gartenlasur.

Die Mädels im String am Straßenstrich da noch in F ließ ich links liegen - stolz! - denn wer den Pfennig nicht ehrt... - guckte aber siebenmal hin und dachte oi.

Oi oi.

Nun und ich begann am Folgetag, ein Samstag bei schönstem Nuttenwetter, den Zaun zu streichen hin zu Max.

Da klingelte es: Manuela, unsere blondgelockte Briefzustellerin, läutete „Jürgen - ein Päckle für Max - der scheint nich dazu sein nimms Du‘s bitte an, danke“.

Sie hat eine Piepsstimme und ich musste eine Unterschrift leisten für dieses knittelgroße, schneeweißes Päckle, das so harmlos aussah und mit dem alles erst anfing.

Diesen suspekten Gegenstand also legte ich in Warteschleife vor den Zaun, steckte mir eine Zigarette an und strich weiter. Kreuz quer, quer kreuz -aber dieses Päckchen schien eine Art Eigenwirkung zu entwickeln.

Ja und dauernd musste ich hin und das Kleingedruckte studieren: „BSBP16 - Achtung: Bitte lesen Sie vor Gebrauch unbedingt dreimal die Bedienungsanleitung und halten Sie Kinder fern, Kranke, Müde oder Alkopholisierte!!

Das war krass. Eine Bombe? Eine Gummipuppe? Eine „Travelpussy“ für 2 Euro aus dem Bahnhofskloautomaten aus F?

Dann kam Max endlich heim. „Paket für Dich“ und er „mir egal - muss mich um meinen Teich kümmern!"

Bereits da schien er nicht mehr der Alte zu sein wie gesagt - er setzte eine große Wassertüte mit zwei roten, etwa acht Zentimeter langen Dingern in seinen Tümpel und schrie manisch “Das sind Doktor Jekyll und Mr Hyde aus F! Heo, hatten die gezappelt und guck mal das Futter hier Jürgen Du olle Schwuchtel ha!“.

Und:

„Der Verkäufer hatte mich stundenlang über die richtige Ernährung der zwei Tiere beraten - kumma: Ganz viel Futter auch! ‚Mehrmals täglich‘ meinte der und kommen se immer wieder - gebe Ihnen zehn Prozent runter, wirklich!“

Mir schien das komisch: Ein Zehnlitereimer Fischfutter bloß für Dr Jekyll??

War es da reine Nächstenliebe, um Max aus dem Wahnsinn zu holen? Oder war es Neugierde an BSBP16?

Jedenfalls ging der Schuss gewaltig nach hinten los. Aber nicht so schnell wie ein Schuss, sondernquälend langsam über Monate. Im Nachbarsgarten. Bei Max, also:

„Nachbarmäxle, hier ist Post für Dich!“.

Rief ich über den Jägerzaun und war dabei so aufgeregt, dass mir mein Hemd an den Latten kurz festbeppte.

Er: „Was ist es denn? Ich gebrauche nix. Oder ist es bereits die neue Lieferung Fischfutter, Mann? Die wollte ich doch selber mit Bus abholen und Porto sparen?“

„Schau selbs mal, Max!“

Andächtig reichte ich ihm das weiße Päckle mit dem vielen Kleingedruckten hinüber und tat so, als streiche ich weiter, sogar eine Zigarette steckte ich mir an, um unauffällig sein Verhalten beobachten zu können.

Er holte eine Gartenschere und begann, an dem Ding rumzuschnibbeln.

Als der Packungsdeckel hochschnellte, hörte ich zunächst „Scheiße, gar kein Fischfutter“.

Aber dann: Wieder diese glühende Augen, wie ein Irrer beinahe schielte er hinüber „Das ist die BSBP16, auf die ich seit zwei Tagen warte, Mann!“

Er umfingerte die Verpackungsfolie und packte so ein phallusartiges, schwarzes dünnes Teil mit klobrigem Ding unten aus, eine lange Schnur hing daran.

„Zum Kukuck Max, was ist das?“ hörte ich mich fragen.

„Das ist für meinen Gartenteich, es ist die weltberühmte Springbrunnenpumpe BSB“ schrie er aufgeregt.

„Max, das ist doch bloß eine kleine Wasserspielpumpe“ versuchte ich ihn auf Normall Null zu kallibrieren.

Wir Leute aus Berlan lesen übrigens wenig, ja eigentlich nie, aber ja, und das ist ja das Besondere: Max begann, dieses Anleitungsheftchen zu studieren.

Er wurde ruhiger erstmal und begann euphorisch mit Seite Elf, der letzten Seite, schnappte sich einen Bleistift und meinte verzückt: Kumma, hier kannsse Notizen da machen auf Seite Elf, haben die extra für mich Linien gemacht da.

„Er begann zu kritzeln und murmelte laut: „Neues Goldfischfutter bestellen nicht vergessen, ganz wichtig!“

Das schrieb er wohl in das Heft, das nun so nach und nach zu seinem Traktat zu werden begann und ich ohnmächtig zusehen musste, wie ein ehemals vernünftiger Milchbauer da als Stromtoter schlussendlich endete.

Kann da nix für und hatte das so nicht gewollt.

„Jürgen mein Lieblingsnachbar - hörst Du zu“ - so in etwa rief er bisweilen und immer gleich spürte ich so ein Ziehen direkt in der Magengegend.

Aber wo zum Teufel hätte man auch bloß Hilfe suchen sollen hier mitten im Wald: Max studiert sein Traktat.


II. Über das Traktat
(Fortsetzung folgt) :)