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Als sie aus der Unterführung heraus in die Bahnhofshalle trat, stand da plötzlich Heinz. Vor Überraschung hätte sie durchaus den Mund aufreißen können, doch der war schon halb offen gewesen als er sie erblickt haben dürfte. Der Anflug von Unmut ließ sie das ganz klar wissen.
War die unverhoffte Begegnung auf diese Art vielleicht vorweggenommen worden?
Wie sich herausstellte, hatte die Mutter in den höchsten Tönen den Besuch angekündigt - so als käme da sonstwer. Und dass dieser Sonstwer auch gebührend mit dem Auto abgeholt werden musste, war demzufolge ausgemacht, die Überraschung vorprogrammiert.
Der Körpersprache getreu hatte der Mund dem Ausdruck verliehen - einen angemessenen.
Leer sollte Heinz nicht ausgehen. Sein Unterleib habe eine so wohlige Wärme verspürt als er sie neben sich zu sitzen hatte, berichtete er, der Siebzigjährige, ohne Bedenken den anwesenden Damen.
Und am nächsten Tag war Heiligabend. Da konnte es eigentlich nur noch besser kommen. Die Mutter war schon mal nicht allein und sie auch nicht - in dieser Metropole, wo kaum einer die hier landläufige Sprache zu sprechen pflegte. Man kannte allenfalls ein paar von der Wehrmacht weidlich gebrauchte Ausdrücke. Bei ihr waren mit der Zeit zum Thema fundierte Kenntnisse hinzugekommen. Bücherwissen allerdings.
Vom Vater waren ja Episoden immer mal wieder hervorgeholt worden, aber dass sie sich nun hingesetzt, ihm in die Augen geblickt und auch nur einen einzigen Punkt angesprochen hätte, nein, das war zuviel verlangt. Und nun war diese Chance, wenn man so will, vertan.
Von Heinz, dem in den zwanziger Jahren Geborenen, war vielleicht noch etwas Authentisches zu erfahren, etwas, in das die Stimme soviel legen kann, dass man nicht leicht davon loskommt. Bei einem von der Luftwaffe und lange in britischer Gefangenschaft Gewesenen, wie man so wusste, würde ein kleiner Vorstoß vielleicht nicht vergeblich sein.

Der frühe Nachmittag des Vierundzwanzigsten sollte genug Zeit lassen, um bei diesen Verwandten für ein Stündchen vorbeizuschauen. Tante Hedwig war schon aus dem Seniorenheim geholt worden. Für gute Stimmung hatte das nicht unbedingt gesorgt, doch jetzt, die kleinen Geschenke ausgepackt, löste sich alles wunderbar. Die Zeit hob sich heraus aus der Täglichkeit und ließ Inge, die Hausfrau, strahlend den Tisch beladen mit Selbstgebackenem. Darüber dunkelte es langsam. Natürlich war kein Wort gesprochen worden von diesen anderen Jahren. Wie hätte sie damit auch kommen können.
Langsam wurde es Zeit für den Heimweg - kein sehr langer und bestimmt auch kein gefährlicher, besonders in diesen Abendstunden mit dem sanften Licht der Holzpyramiden in den Fenstern und wo die Kerzen in den Stuben jederzeit entzündet werden konnten. Ein flüchtiger Blick in solche Wohnzimmer wirkte manchmal noch zauberhafter als der auf den eigenen Baum. Übrigens gab es diesmal keinen. Der Mutter war das alles ein bisschen zuviel. Es wurde "Der kleine Lord" gegeben - davon ließ sich schwärmen, zumal sie eine nicht ganz abwegige Ähnlichkeit mit dem Enkelsohn entdeckt hatte.
Soweit alles in schönster Ordnung als sie sich erhob. Und dann stand Heinz, ganz schnell warm angezogen, neben ihr an der Tür.
"Geleitschutz", brachte er leise, bestimmt hervor. Draußen wurde sie am Arm genommen, fest. Ja, fest war der Griff schon, aber noch mehr war es eine harte, angestaute Spannung, und die ließ keinen den Mund aufbringen bei einem schnellen Gang, der sie dann vor der Mutter stehen ließ wie zwei, mit denen es nicht ganz geheuer. Ihre Tochter wenigstens, die wusste sie erst mal in Sicherheit.
Heinz bekam sein Schnäpschen oder auch zwei und da er nun sowieso draußen am Container vorbei musste, konnte er auch gleich das Beutelchen da mitnehmen. Gesprochen im ganz normalen Ton einer Frau, die zu nehmen wusste.
Dem kalten, grauen Weihnachtsmorgen draußen war, als kämen, von irgendwoher, erstickt, verklingende höchste Töne.