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China, Provinz Henan, um 700 n. Chr.:

Jetzt sitze ich schon seit zwei Tagen vor dem ehrwürdigen Shaolin-Kloster, hungrig, durchnäßt, müde, fertig. Es beginnt wieder wie aus Kübeln zu regnen. Das kam so:

Eine erste Chance hatte ich nicht in diesem Leben: Mein Vater unbekannt, meine Mutter eine Taglöhnerin. Als ich vierzehn war, starb sie am Fieber. So wurde ich Räuber. Ich klaute alles zusammen, später überfiel ich mit einem Messer bewaffnet Reisende. Dies war lohnender. Getötet hatte ich zwar noch niemand, aber verletzt schon einige.
Und da kam dieser Mönch daher; die hatten zwar keine Wertsachen, aber immer genug Proviant, die ihnen Gläubige gerne gegeben hatten, um für sich Heil zu erlangen.
Der war etwa um die Fünfzig, schlank, trug ein orangefarbenes Oberteil, den obligaten spitzen Strohhut und hatte die Hosen wie Gamaschen geschnürt. Ich sah seinen prall gefüllten Proviantbeutel, er trug einen langen Wanderstock bei sich. Also wieder leichte Beute- dachte ich.
Ich stürzte mich wie immer mit gezogenem Messer auf ihn. Doch dieser Mönch zögerte keine Sekunde, wirbelte den Stock mühelos elegant in der Luft herum und ich spürte einen harten Schlag gegen mein Schienbein. Der Schmerz war furchtbar, gleichzeitig krachte das Stockende auf mein Handgelenk, der Arm war taub, das Messer flog weg. Und ein dritter Stoß gegen meine Rippen- ich lag japsend flach, mir war schlecht vor Schreck und Schmerzen.
Als der Mann sah, daß ich kampfunfähig war, versorgte er wortlos meine ramponierten Stellen: Er legte irgendeine Pflanze aus seinem Proviantsack auf die Rippen, das Schienbein und das Handgelenk. "Das nimmt die Schwellung," sagte er freundlich. "Es tut mir sehr leid, wenn ich Dir weh getan habe, aber Du solltest nicht Leute angreifen und ausrauben. Das ist ein unheilsamer Broterwerb," setzte er sanft lächelnd hinzu.
Wir unterhielten uns eine Zeitlang und ich erzählte ihm von meinem trostlosen Leben. Nebenbei gab er mir von seinem Proviant und er empfahl mir, in die Provinz Henan zu reisen und dort im Kloster um Aufnahme als Mönch nachzusuchen. Würde ich es schaffen, gäbe es dort Ausbildung und einen ehrbaren Broterwerb als Mönch auf Zeit oder für immer. Ich überlegte nicht lange und marschierte los. Nach drei Tagen Fußmarsch war ich da.

Nun sitze ich also bereits den zweiten Tag vor der schweren, geschlossenen Klostertüre. Mein Magen knurrt. Mich friert. Ich bin verzweifelt. Ein Mönch kommt heraus und grüßt mich freundlich. Er stellt eine Schüssel mit Gemüsebrühe vor mich, dazu legt er einen großen steinharten Brocken Brot. Er geht wieder und bringt noch ein Schüsselchen Reis mit Gemüse und eine Tasse, die keinen Boden hat.
Ich überlege kurz, dann presse ich den beinharten Brotklumpen unten an die Tasse und schöpfe damit die Brühe aus. Als die Schüssel leer ist, ist der Brotbrocken weich, ich verputze ihn samt dem Reis. Der Mönch lächelt zufrieden und geht. Der Regen prasselt auf mich nieder. Die Türe rummst zu. Aber ich bin satt.
Kurze Zeit später ist er wieder da: "Folge mir," sagt er knapp. "Du triffst nun unseren Abt, also verbeuge Dich und wirf Dich nieder," setzt er hinzu.
Der Abt steht mit dem Rücken zu uns, ich werfe mich nieder. Ich fühle eine Hand, er hilft mir auf und ich erstarre: Es ist dieser Mönch, der mich so vermöbelt und dann gepflegt hat. Wieder schaut er mich freundlich an und sagt sanft: "Du bist auf Probe aufgenommen, also enttäusche Dich nicht selbst."

10 Jahre später:
So bekam ich also eine zweite Chance- ich habe sie genutzt. Allerdings ist es schwere Arbeit, ein ehrbarer Mann zu sein. Es bedeutet tägliche Anstrengung und ständiges Arbeiten an sich. Aber es lohnt sich. Es ist ein gutes Leben.