Nachdenklich fuhr ich zurück. Adela musste mit meiner Steyr Pistole schiessen lernen. Sie war viel zu oft völlig allein auf sich angewiesen. Der Besuch meiner Mutter hatte mein Verhältnis zu Adela gewandelt. Sogar meine Mutter sah sie als meine Lebensgefährtin und das verlieh ihr gewissermassen offiziellen Status. Adela hatte den Weg ins Herz meiner Mutter gefunden und sie war voller Vorfreude auf eine Deutschlandreise. Die immer hinausgezögerte Entscheidung war fast ohne mein Zutun gefallen. Überdies hatte sich, seit Adela schwanger war, meine Gier nach ihrem Körper auf geheimnisvolle Weise zur Liebe gemausert. Ich war beinahe wunschlos glücklich und liebte Adela, als die Mutter meiner ungeborenen Kinder, mit all ihren Eigenarten, Schwächen und Stärken; vor allen Dingen den üppigen Stärken. Beim Einbruch der Dunkelheit zog ich meine Adidas an und trabte auf dem Schotterweg landeinwärts. Noch bevor ich bei meinem gewohnten Wendepunkt anlangte, drängte es mich umzukehren, aber ich wollte mein Soll erfüllen und lief weiter. Auf dem Rückweg verschärfte ich das Tempo. Die letzten 200 m spurtete ich bis zur Kurve von der man die Bucht übersehen konnte. Ein fremder Peñero war dort vertäut. Von Bungalow zu Bungalow huschend näherte ich mich dem Zentralbau. Ungefähr fünfzehn Meter davor kauerte ich hinter einer Abfalltonne nieder, warum war mir nicht bewusst. Auf dem Boden unter dem Vordach knieten Ute, meine Mutter, Adela, Giuliano und Bodo. Drei mit Revolvern bewaffnete Männer lümmelten sich auf den Barhockern und tranken unseren besten Rum. Ein vierter war bemüht die Kasse aufzubrechen. “Negra, abre esta vaina – mach das Ding auf!” Ich kannte diese Stimme. Der rechte Unterarm des Mannes steckte in einem Gipsverband bis zum Ellenbogen. Der Messerheld von jener Samstag Nacht hatte Wort gehalten. Er war gekommen um sich zu rächen. Adela stand auf, ging zur Kasse und öffnete sie. “Coño, - nichts - no hay un carajo!” Was sollte ich tun. Meine Pistole lag für mich unerreichbar auf einem Balken über der Theke. Die Harpune in meinem Bungalow nützte wenig gegen die Revolver der Eindringlinge. Ich hielt es fürs Beste abzuwarten. Der Kerl fasste Adela bei ihrem Haarschopf, bog sie rückwärts über die Theke und presste sich an sie. “Gerónimo!” “Gerónimooo!” gellte Adelas Schrei. “Quieta, negra de mierda!” brüllte der Kerl und rammte Adela den Revolver in den Mund. “Leg dich hin und spreize die Beine!” Meine Mutter fasste den Tonaschenbecher auf dem Tisch neben ihr, war mit zwei Schritten an der Theke und zerschellte ihn auf dem Kopf des Mannes. Ein Schuss krachte. Adela zuckte und brach zusammen. Ich stürmte nicht brüllend hinter dem Abfallfass hervor um mich auf den Mörder zu stürzen. Feige blieb ich hinter der Mülltonne, auch als der Mann meiner Mutter mit Marks Baseballschläger den Schädel zertrümmerte. Erst als Bodo die Verwirrung nutzte, hinter die Küchentheke hechtete, dabei den Mörder meiner Mutter rammte und geduckt zum Hinterausgang rannte, raffte ich mich dazu auf bis zur kniehohen Mauer zu schleichen, die den Raum unter dem Vordach eingrenzte. Zaghaft warf ich mich hinter ihr wieder in Deckung. Ute preschte an mir vorbei in die Dunkelheit. Giuliano wollte es ihr gleichtun, wurde aber von einer Kugel niedergestreckt noch bevor er sich vollends aufgerichtet hatte. Die Männer verfolgten Bodo ballernd und schreiend. Ich sprang auf, rannte zur Theke, tastete nach meiner Pistole auf dem Querbalken und jagte den Verfolgern nach. Als die ersten Schatten vor mir auftauchten, kniete ich nieder und begann zu schiessen, ohne zu treffen wie es schien. “Vamonos! Policia!” riefen Stimmen durcheinander im Dunkeln. Die ganze Bande stürmte zum Strand und watete zu dem Peñero. Geduckt lief ich hinter ihnen her. Als sie ins Boot kletterten feuerte ich wieder. Schreie, Flüche, dann waren sie im Boot und schossen zurück. Ich warf mich hinter einen Felsen am Strand und spähte hinaus. Sie waren unter der Bordlinie in Deckung gegangen. Ich wartete bewegungslos. Als sich ein Mann aufrichtete um den Aussenbordmotor anzukurbeln, stützte ich meine Waffe auf den Felsen und schoss dreimal. Der Mann kippte rücklings über. Ein Kugelregen beantwortete meine Schüsse. Ich hatte keine Munition mehr und kroch gedeckt durch den Felsen zurück. Nach einigen Sekunden begriffen die Männer im Peñero meine Lage. Sie starteten den Motor und steuerten in weitem Bogen in voller Fahrt zum Strand. Ich sprang auf und rannte landeinwärts. Ihre Schüsse verfehlten mich so weit, dass ich nicht einmal die Kugeln pfeifen hörte. Trotzdem wagte ich erst im vollen Dunkeln unter den niederen Cujis1 mich umzusehen. Das Boot hatte abgedreht und stach in den Golf hinaus. Ich hetzte zurück zum Jaidauay. Meine Mutter lag reglos vor der Theke. Blut klebte an ihrem weissen Haar. Ihr Puls pochte nicht. Hinter der Theke lag Adela. Aus ihrem Mund sickerte Blut. Sie war tot. Ich kniete mich neben sie und drückte verzweifelt meine zitternden Lippen an ihre Stirn. Dann kauerte ich mich neben meiner Mutter auf den Boden und fasste ihre Hand. “Wenn ich eingegriffen hätte……...wäre ich jetzt auch tot”, flüsterte eine Stimme in mir. In dumpfem Unglauben presste ich meinen Kopf gegen die Steinmauer der Theke. Fiebernder Hass auf den Mörder und tiefe Enttäuschung über mich selbst begannen in mir zu bohren. Der Mörder würde seine Opfer nicht lange überleben, schwor ich, aber sogar in diesem Moment war es mir glasklar, dass ich nur dann handeln würde, wenn die absolute Sicherheit bestand, dass mir dabei nichts zustossen konnte. Trotz aller Scham, allem Schmerz und aller Reue würde ich in einer ähnlichen Situation wieder genauso handeln. Diese Erkenntnis lag bergeschwer auf meiner Seele. Es war, als hätte ich heute zum ersten Mal mein Spiegelbild erblickt und das Zerrbild das mich anstarrte, erfüllte mich mit Abscheu. Ute tauchte aus der Dunkelheit auf. Sie beugte sich über die Toten, fühlte ihren Puls und legte dann ihre Hand auf meine Schulter. “Wir müssen Bodo suchen. Ich glaube es hat ihn auch erwischt, sonst müsste er schon hier sein”, sagte sie tonlos. Stumm stand ich auf und ging in Richtung der dornigen Cujis, die die Bucht auf der Landseite säumten. Ute folgte mir. Wir fanden Bodo nach ein paar Minuten. Er lag auf dem Gesicht und blutete aus einer Rückenwunde, aber er atmete. Ich holte eine Decke. Wir hievten ihn darauf und schleiften ihn zur Jaidauay–Flecha. Ich montierte den Motor aufs Boot und wir stachen in See. Ich überliess Ute das Steuern und rief Joaquin an. “Was hast du vergessen?” fragte er statt eines Grusses. ““Joaquin, wir sind überfallen worden. Meine Mutter ist tot, Adela ist tot und ein Gast ist tot. Ein anderer ist schwer verletzt. Wir haben ihn in der Flecha und sind auf dem Weg nach Cumaná.” Joaquin schwieg eine Weile, dann sagte er: “Ich rufe die Polizei und bestelle eine Ambulanz zur Marina.” “Joaquin, die Typen sind mit einem Peñero in Richtung Cumaná geflüchtet. Einer muss tot oder verwundet sein. Ich glaube nicht, dass sie in Cumaná anlegen, aber sie sind wahrscheinlich schwer gedopt und man kann nie wissen was ihnen einfällt. Gib der Polizei auf jeden Fall einen Tip.” “Okay, wird gemacht. Wie weit seid ihr weg?” “In 25 Minuten legen wir in der Marina an.” Bodo wurde in eine Klinik gebracht. Ute und ich fuhren mit der Polizei und der Presse wieder ins Jaidauay. Joaquin begleitete uns. Für alle Fälle hatte er sogleich einen Rechtsanwalt mitgebracht. Dennoch wurden wir stundenlang verhört. Schliesslich brachte uns Joaquin in seiner Junggesellenbude in Cumaná unter. Es war gegen ein Uhr nachts, sechs Uhr früh in Deutschland. Mein Bruder würde gerade aufstehen. Ich setzte mich ans Telefon und wählte seine Nummer. “Seehofer”, hörte ich die erstaunte, fast ärgerliche Stimme meiner Schwägerin. “Guten Morgen, Hildegard”, sagte ich unpassender Weise. “Ach, du bist es. Was ist denn in dich gefahren? Warum rufst du so früh an?” “Mutter ist tot.” “Was…?” “Ich muss mit Hermann sprechen.” “Hiero, was ist passiert? Ihr Herz? Natürlich diese Tropenhitze, aber du hast ja darauf bestanden…… “ “Hermann!” kreischte sie. “Was ist?” hörte ich die barsche Stimme meines Bruders. “Deine Mutter…” “Ja!” bellte Hermann ins Mikrofon. “Hermann, das Hotel ist überfallen worden und unsere Mutter wurde ermordet.” Die Leitung blieb eine Weile stumm. “Und dir ist nichts passiert? Wo warst du denn?” “Ich war Joggen”, murmelte ich. “Was?” “Ich war Joggen!” “Weiss Gott, wo du warst, das ist ja egal, du bist eben nie zur Stelle, wenn man dich braucht.” Ich erwiderte nichts und auch er schwieg. “Kann ich mich wenigstens darauf verlassen, dass du sie nach München überführen lässt?” “Ich werde alles Notwendige veranlassen “, murmelte ich. “Gut, solltest du irgend etwas benötigen, rufe mich unter meiner Handynummer an.” Er schluchzte und hängte ein. Sein schroffer Ton hatte paradoxerweise mein Schuldgefühl für einige Sekunden gelindert. Schweren Herzens wählte ich die Nummer des Mannes in Puerto Santo, der sich ein Handy geleistet hatte und Anrufe für alle Dorfbewohner entgegennahm. Das Handy war zur Voice-mail geschaltet. Ich hinterliess Nachricht für Cecilia Herrera. Sie möchte sofort Gerónimo wegen Adela anrufen. Zwei Stunden später brach ich auf nach Caracas um auf der deutschen Botschaft um Hilfe zur Überführung der Leiche meiner Mutter zu bitten. Unverrichteter Dinge verliess ich die Botschaft gegen 12 Uhr mittags, mutlos und entäuscht. Mechanisch steuerte ich den Mustang nach Altamira zu meinem Appartment. Mein Handy auf dem Beifahrersitz leierte schon eine Weile “La cucaracha, la cucaracha”. “Si”, sagte ich schliesslich unwirsch. “Gerónimo, hermano, wo bist du?” Es war Daniel. “In Altamira.” “Wir treffen uns bei dir in einer halben Stunde.” “Du weisst was passiert ist?” “Ja, Ute hat angerufen und es steht auch in der Zeitung. Wieso hast du mich nicht benachrichtigt?” “Ich wollte dich nicht behelligen. Du weisst doch, - a friend in need is a pain in the ass.” Die Flucht in den Zynismus sollte meiner gebrochenen Stimme einen männlichen Ton abringen. “Lass den Unsinn! Ich bin gleich bei dir.” “Okay, hasta ahora.”. Dann kam der Anruf von Adelas Mutter. “Was ist los Gerónimo”, fragte sie besorgt. “Cecilia, wir sind gestern Nacht überfallen worden “ “Ay, was ist mit meiner Adela?” “Cecilia,….este ….” “Was ist? Rede schon!” “Adela wurde ermordet.” Cecilia schluchzte laut.
Als ich Daniel die Tür öffnete umarmte er mich wortlos. “Du kommst mit zu uns”, befahl er. Ich folgte ihm ohne Einwendungen. Wir fuhren in seinem Wagen nach San Bernardino. Unterwegs berichtete ich von meinen Bemühungen, von der Lethargie der Konsulatsbeamten und dem Zeitmangel wegen der Beerdigung Adelas in Cumaná. “Das wird sich alles regeln”, sagte Daniel bestimmt. “Wir sprechen mit ein paar Leuten die das in die Hand nehmen werden.” Auch Jakov Kaplan, Daniels Vater, umarmte mich. Er bat mich in sein Arbeitszimmer und drückte mich aufs Sofa, zog einen Stuhl heran, setzte sich mir gegenüber und legte mir seine Hand auf die Schulter. Dann hob er segnend die Hände über meinem Kopf und sprach: “Jedid Nefesch Aw haRahaman, m'shokh Awd'kha el R'zonekha, jaruz Awdekha k'mo Ajal, jishtachaveh el mul Hadar'kha, je'äraw lo Jedidutekha, miNofet Zuf v'khol Ta'am. Der Klang seiner ruhigen Stimme und die fremdartigen, unverständlichen Worte wirkten wie Balsam auf meine gemarterte Seele. Endlich weinte ich. Daniel kam erst ins Zimmer, als ich mich wieder gefangen hatte. Wieviele Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Venezuela venezolanische und deutsche Bürokraten unter Druck gesetzt hatten erfuhr ich nie. Am folgenden Tag hiess es überall nur “unterschreiben Sie hier, - unterschreiben Sie da”. Dann war alles vorbei und ich fuhr zurück nach Cumaná. Zur Beerdigung Adelas kamen viele Menschen, ihre Familie, ihre Freunde und ihre zahlreichen Bekannten, natürlich auch Ute und Joaquin. Der Leichenwagen hielt am Friedhofseingang. Acht von Adelas männlichen Familienangehörigen luden den Sarg auf die Schultern und führten den Trauermarsch an. Links, rechts, zwei Schritte vorwärts, einen zurück, links, rechts, vorwärts, vorwärts, zurück. Langsam, quälend langsam rüttelte der Sarg zum Grab. Mir schien als drückten die Mienen der Anwesenden Erstaunen ja sogar Vorwürfe darüber aus, dass ich am Leben war und zudem gänzlich unverletzt. Gerne hätte ich mich unsichtbar gemacht, aber mein Platz war am Grab Adelas hinter ihrer Mutter und ihren Geschwistern. Ihre Schwestern, Aida und Samira, schluchzten laut und Cecilia heulte auf, als der Sarg in die Erde gesenkt wurde. Oswaldo, Adelas ältester Bruder, warf mir finstere Blicke zu. “Aquí descansa Adela Scott de Seehofer, meine Lorelei”, war auf den Grabstein gemeisselt. Das “de” Seehofer machte sie wenigstens im Tode zu meiner rechtmässigen Ehefrau. Der guten Sitte musste Genugtuung getan werden, auch dem Brauch des Umtrunkes nach der Beerdigung. Plötzlich stand Oswaldo vor mir, angetrunken, fast einen Kopf grösser als ich, hager, aber doch gute hundert Kilo schwer, Fischer und Gelegenheitsschmuggler. Er starrte mir ins Gesicht. “Esto no se quedará así - das bleibt nicht so!” sagte er. “Haré lo que tenga que hacer –ich werde tun, was ich tun muss”, erwiderte ich. Um seinem Blick auszuweichen, griff ich nach der Rumflasche in seiner Hand und nahm einen langen Schluck. “Búscame, cuando sepas quien fue –hol mich, wenn es soweit ist!” “Nach der Beerdigung meiner Mutter.”
Hi Tessy, als ich meiner Mutter einmal sagte, dass ich mir keinen Film ansehen wuerde bei dem es kein happy end gaebe, meinte sie: "Aber so ist doch das Leben nicht." Worauf ich erwiderte: " Ich gehe nicht ins Kino , um das Leben zu sehen, sondern um eine Auszeit zu nehmen und zu traeumen." Das ist nicht jedermanns Geschmack, manche geniesen das Gegenteil., vielleicht , weil ihr Leben so miserabel ist, dass sie gerne ein noch miserableres kennen lernen moechten. Ich halte es fuer eine mildere Form des Masochismus. Wenn ich also selbst einen Text schreibe, darf das Ende wenigstens nicht unhappy sein. Beste Gruesse///Onivido
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25.09.2015 17:31
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