Auf Grund ihres Alters, ihrer beruflichen Tätigkeit und ihres gesellschaftlichen Umfelds kamen Cabrera und Redondo für eine Teilnahme am Überfall des Jaidauays nicht in Frage. Vielleicht waren sie Kunden Romeros. Zumindest Redondo konnte beim Drogenverkauf an Hotelgäste mitverdienen und vielleicht auch dafür sorgen, dass die Polizei die Verdienstquelle Romeros nicht unter die Lupe nahm. Über Gonzalez musste ich mich informieren. Ich fand keinen Schlaf. Im Morgengrauen checkte ich aus dem Hotel und fuhr zurück nach Cumaná. Unauffällig gekleidet, ohne Auto, aber bewaffnet wie immer, mit der Beretta in einer neuen Hüfttasche, näherte ich mich dem Haus in dem Freddy Gonzalez wohnte. Bei der Licoreria an der Ecke kaufte ich mir eine Dose Bier und trank langsam an die Hauswand gelehnt. Neben mir stand ein alter Mann. Er trank aus einer Flasche die er in einer Papiertüte verborgen hielt. “Que está tomando, abuelo –was trinken Sie, Opa?” fragte ich. “Anis.” “Trinken Sie was Vernünftiges!” riet ich ihm unaufgefordert. “Für was anderes reichts nicht.” Es kostete mich keine Mühe ihn davon zu überzeugen, dass Whisky seiner Gesundheit zuträglicher sei. Ich kaufte eine Flasche Johnny Walker und wir schlürften den Whisky pur ohne Eis aus Plastikbechern. Dann fragte ich nach “Sin Tornillo”. “Der wohnt gleich dort in dem blau gestrichenen Haus”, sagte der Alte. “Ich glaube nicht, dass er zuhause ist.” “Was transportiert er denn?” “Alles mögliche.” “Er hat doch einen Peñero, nicht wahr?” “Ja, den Camarón.” “Camarón? Noch nie gesehen.” “Normalerweise liegt er in “EL Peñon” vertäut.” Ein junger Mann in Bermudas, T-shirt und nagelneuen Nikes gesellte sich zu uns. “Un trago ahi – einen Schluck für mich”, forderte er überheblich im Befehlston. “Como no, mi pana”, sagte ich ein wenig lallend, “hol dir einen Becher!” “Das ist “Cara Cortada”, – Narbengesicht, - Vorsicht mit ihm!” raunte mir der Alte zu. Ich nickte. “Was machst du hier?” fragte mich Narbengesicht und hielt mir seinen Becher unter die Nase. “Ich unterhalte mich mit diesem Caballero.” “Was hast du in dem Koala?” wollte er wissen und streckte die Hand nach der Hüfttasche aus. “Lass den Scheiss! Du weisst was drin ist.” Cara Cortada erwiderte nichts, leerte seinen Becher in einem Zug und hielt ihn mir wieder hin. Bereitwillig fasste ich die Flasche mit der linken Hand, die Rechte hielt meine Leibtasche, füllte seinen Becher bis an den Rand und stellte die Flasche wieder auf den Boden. Ich nahm meinen eigenen Becher vom Mauersims und trank einen Schluck. Cara Cortada war ein Choro (Gangster). Bestimmt trachtete er danach mir die Hüfttasche abzunehmen, wegen der Waffe. Zweifellos ahnte er was in der Tasche war. Offensichtlich kalkulierte er das Risiko. Das minderwärtigste Schiesseisen war schliesslich wenigstens für 500 Dollar zu verkaufen. “Oye, ich wollte eigentlich einen Lotterieschein hier kaufen, weil der nächste Gewinner aus dieser Gegend kommen muss”, sagte ich um ihn auf andere Gedanken zu bringen. “Woher willst du denn das wissen?” “Man hat mir einen Tip gegeben”, sagte ich scheinbar widerwillig. “Ich begleite dich, du kannst mir gleich auch ein paar Scheine kaufen.” “Warte, trinken wir zuerst die Flasche leer.” Es war nicht schwer zu erraten was mich in seiner Gesellschaft hinter der nächsten Ecke erwarten würde. Wir tranken, das heisst Cara Cortada und der Opa, diese Flasche und noch eine. Mit zunehmender Trunkenheit wurde Narbengesicht gesprächig. Stolz erklärte er 12 Kugeln und drei Gefängnisstrafen überlebt zu haben. Anscheinend hatte er bei Weitem mehr Narben am Körper als im Gesicht. Dann zeigte er mir das Foto eines etwa zwölfjährigen Jungen, seinem Sohn. “Meine Sorge ist, dass er mir nachgeraten könnte.” “Warum suchst du dir keine Arbeit und lebst wie ein normaler Mensch?” “Das zahlt sich doch nicht aus. Man schindet sich eine ganze Woche nur um am Freitag Reis, Bohnen und Mortadella kaufen zu können.” Er schüttelte den Kopf, wie um die Alkoholnebel zu vertreiben oder eine unangenehme Erinnerung zu verbannen. “Mit 15 habe ich zum erstenmal bei einem Überfall mitgemacht.” “Hast du nie jemand umgelegt?” “Das mache ich nicht. Ich weiss, dass ich nur deshalb noch am Leben bin, weil ich nie jemanden umgelegt habe. Wenns sein muss, schiesse ich ins Bein oder in die Schulter.” “Sin Tornillo ist da nicht so zimperlich.” “Ich habe Bock aufs Rauben. Das macht mir Spass und bringt Geld, nicht Morden. Sin Tornillo ist un loco sanguinario - ein blutrünstiger Verrückter. Den wird es bestimmt selbst bald erwischen. Hast du von der Sache mit dem schweizer Ehepaar gehört, das auf seiner Yacht ausgeraubt und vergewaltigt wurde? Da war er auch dabei. Vor ein paar Wochen killten er und ein paar andere Kerle nur zum Spass ein paar Touristen und eine Hotelbesitzerin in Araya. Man munkelt, dass sein Bruder dabei ins Grass gebissen hat. Er wurde tot am Strand aufgefunden, mit ein paar Kugeln im Leib. Jetzt will Sin Tornillo el jevo - den Maker - der Frau umbringen. Na ja, mir kann es egal sein.” “Primo, kaufen wir die Lotteriescheine bevor wir das ganze Geld versaufen!” “Chamo, lass ein wenig Zaster da.” “Besser wir kaufen Lotterie, da können wir vielleicht reich werden!” “Du findest die Loteria allein. Sie ist auf der anderen Strassenseite zwei Blocks weiter in dem rosa Haus.” Ich stellte die leere Flasche an die Hauswand, warf den Plastikbecher auf die Strasse, winkte dem Alten und machte mich schwankend davon. Zurück im Hotel Bordones genehmigte ich mir ein Bier beim Swimming Pool. Dort sah ich Bodo. Er lag bleich und abgemagert auf einem Liegestuhl. Es überraschte ihn mich hier zu treffen, aber mein Aussehen verwunderte ihn nicht. Er ahnte dass ich einen “Ajuste de Cuentas” vorbereitete und obwohl er erst vor kurzem aus der Klinik entlassen worden war, brannte auch er darauf mit den Banditen abzurechnen. Am Abend gelang es mir mit Oswaldo zu telefonieren. Ich warnte ihn mich nicht beim Namen zu nennen. Darauf sprach er mich als “Señor Sanchez” an, begann über seine Bezahlung zu feilschen und versprach morgen früh pünktlich in Cumaná zu sein. Wie für die meisten Venezolaner war Täuschung für ihn eine geliebte Gewohnheitssache. Das gehörte einfach zu der berühmten “Viveza” (Schlauheit), ohne die man in Venezuela nicht überleben konnte. Wie vereinbart trafen wir uns am nächsten Morgen und planten das Vorgehen gegen Sin Tornillo und seine Kumpane. Es war Oswaldos Aufgabe den Camarón zu beobachten und ein Boot zu besorgen. Am selben Abend noch lauerte ich Romero auf dem Paseo in Puerto la Cruz auf. Als er sich gegen Mitternacht in einen vergammelten Conquistador setzte und den Motor startete fuhr ich hinter ihm her. Er hielt ein paar hundert Meter weiter bei Mc Donald am Ende des Paseos. Ich fuhr vorbei und parkte neben dem Hotel Razil, zog Gummihandschuhe an, nahm den Baseballlschläger vom Rücksitz und ging zu Fuss zurück. Noch gab es regen Autoverkehr auf der Strasse, aber fast keine Fussgänger mehr. Durch die Glaswand von Mc Donald beobachtete ich wie “Lengua de Trapo” seinen letzten Hamburger mampfte. Als er fertig war und aufstand, stellte ich mich rücklings an die Fahrertür seines Conquistadors und pinkelte gegen den neuen Chrysler-Neon der daneben parkte. Lengua de Trapo sagte ein paar unfreundliche Worte, stiess mich zur Seite, sperrte den Wagen auf und wollte einsteigen. In diesem Augenblick hämmerte mein Baseballschläger auf seine Schädeldecke. Lautlos sackte er zusammen. Ich stiess ihm meine Beretta in den Mund und drückte ab. Um absolut sicher zu gehen, schoss ich ihm eine Kugel in die Brust und noch eine in die Stirn. Dann nahm ich ihm seinen Autoschlüssel ab, startete den Conquistador und fuhr zum Ferryhafen. Dort parkte ich, stieg aus, liess den Zündschlüssel im Schloss und das Fenster offen. Sicher würde ein Dieb das Auto mitnehmen und dadurch die Polizei auf eine ganz falsche Spur bringen, das heisst, wenn sich die Polizei im Fall Romero überhaupt auf Ermittlungen einliess. Auf Umwegen kehrte ich zurück zu meinem Leihwagen und machte mich auf den Weg nach Cumaná. Am nächsten Morgen stach mir beim Vorbeischlendern am Zeitungsstand des Hotels eine Schlagzeile in die Augen. EL TIEMPO “Puerto la Cruz. Brutalmente asesinado vendedor de drogas.-Drogenhändler brutal ermordet…”.. Zwei Tage später rief Oswaldo an. Es war soweit. Bodo bestand darauf uns zu begleiten. Er hatte eine Rechnung zu begleichen mit Sin Tornillo. “El UNIVERSAL - Nichts überzeugt mehr als die Wahrheit. Espantoso Ajuste de Cuentas – Schreckliche Vergeltung. Fischer aus Cumaná fanden einen Peñero mit acht Leichen an Bord. Am Dienstag morgen sichteten Fischer einen offensichtlich steuerlos treibenden Peñero im Golf wenige Kilometer östlich von Cumaná. Als sie sich näherten entdeckten sie acht Tote an Bord. Sie nahmen das Boot ins Schlepptau zurück nach Puerto Sucre, wo sie die Polizei alarmierten. Kommisar Rafael Garcia hält einen Vergeltungsakt für das Motiv des Verbrechens. Alle Toten waren vorbestraft………. Die Leichen wiesen zahlreiche Einschüsse auf. Die Polizei schliesst nicht aus, dass die Täter mit Maschinenpistolen bewaffnet waren.”
Bodo plagten Gewissensbisse, weil wir acht Leute getötet hatten und er nur Sin Tornillo und einen weiteren Mann einwandfrei identifizieren hatte können. “Das war lauter Gesindel”, versuchte Oswaldo ihn zu beruhigen. “Wir können doch nicht Menschen einfach umlegen, nur weil wir sie für Gesindel halten!” “Nein, das wäre zuviel Arbeit”, gab Oswaldo zu. “Mitgefangen, mitgehangen “, erinnerte ich Bodo. “Lass deine dummen Sprüche!” Unsere Argumente waren nicht dazu angetan Bodos Stimmung zu heben. Im Gegenteil, er wähnte sich unverstanden, ein zivilisierter Mensch unter wilden Rohlingen. “Beruhige dich! Vergiss nicht, wo wir sind! Hör dir doch das mal an! Das steht im Universal von heute….: Zwei Polizisten ermordet….., Bankraub in Altamira, oder das hier, Sträfling nimmt Geisel…. , elf-jähriger stirbt im Kugelwechsel zwischen rivalisierenden Banden…. Taxichaufeur ermordet, Fahrer beschliesen sich zu bewaffnen, Industrieller entführt, Frauenleiche in Lieferwagen, und so weiter” “Das hat alles nichts mit uns zu tun!” “Hier muss man einfach zur Selbsthilfe greifen.” “Wir haben acht Menschen getötet. Sechs von ihnen konnten unter keinen Umständen an dem Überfall beteiligt gewesen sein. Wir hätten sicher gehen müssen, nur die zu töten, die im Jaidauay dabei waren. Du hast mich da hineingezerrt, du hast mich ausgenützt!” “Ein paar mehr oder weniger macht doch nichts aus. Im Golfkrieg und auf dem Balkan wurde dafür der Begriff “Collateral-schaden” geprägt. Es passiert also sogar im Kreis angesehener Ordenträger.” “Bist du wirklich so zynisch, oder tust du nur so?” “Lass die Kirche doch beim Dorf. Du kannst die Vorfälle nicht nach europäischen Masstäben beurteilen? Gut, du gehst wieder nach hause ins geordnete Deutschland, aber Oswaldo und ich bleiben hier und können es uns nicht leisten zimperlich zu sein. Wenn wir nur einen der Kerle im Boot überleben hätten lassen, wären unsere Tage gezählt. Niemand hat dich gezwungen mitzumachen. Du warst verrückt danach dich für das Loch in deiner Lunge zu revanchieren. Was soll jetzt das Stänkern?” “Ich verstehe nicht wie du das so kaltschnäuzig wegstecken kannst. Du bist mörderischer als Al Qaida und verrückter als Adolf Hitler!” “Ich bin in guter Gesellschaft, oder hast du vergessen wie die Hamas Führer Ahmed Jassin und Abd al Asis durch Raketen von Israel getötet wurden. Bei diesen Angriffen wurden Dutzende Unbeteiligte getötet, oder verwundet. Und erinnere dich doch an den Moment, als die Kerle merkten, dass wir ihnen an den Kragen wollten, als der Typ am Heck seinen Revolver unter dem Hemd hervorzog und die anderen ihre Waffen aus den Kühltruhen fischen wollten. Auch du warst entschlossen dich nicht noch einmal durchlöchern zu lassen. Da blieb uns doch nichts anderes übrig, als zu ballern was das Zeug hielt, sonst wären wir jetzt nicht mehr im Stande darüber zu diskutieren. Oder glaubst du etwa wir hätten sie bitten sollen sich von dir identifizieren zu lassen?” Bodos Getue reizte mich, weil er das laut aussprach was ich zu verdrängen versuchte. Von Anfang an hatte ich gewusst, dass ich den Verbrechern nicht die geringste Chance zur Gegenwehr lassen würde. Jetzt nachdem wir sie niedergemacht hatten, spürte ich keine Genugtuung. Meine zermürbte Selbstachtung war keineswegs wieder hergestellt; wir hatten lediglich eine Dreckarbeit erledigt. Tonnenschwer lastete die Erinnerung an meine Rolle beim Überfall im Jaidauay auf mir. Immer wieder versuchte ich mir einzureden, dass mein damaliges Verhalten nichts mit Feigheit zu tun hatte, sondern vielmehr mit kühler Logik und Überlebensinstinkt. Es war doch nicht verkehrt logisch zu denken und zu handeln. Aber dann gellte wieder der verzweifelte Schrei Adelas in meinen Ohren. “Gerónimooooo!”. Wieder sah ich den Baseballschläger auf das weisse Haar meiner Mutter niedersausen, hörte das dumpfe Geräusch mit dem er auf ihrem Kopf aufschlug. Logik hin oder her, ich hatte Adela und meine Mutter schändlich im Stich gelassen. Das nächste Mal, - wenn es ein nächstes Mal geben sollte-, würde ich die Logik ausser Acht lassen!
Hi Onivido Ich war ein paar Tage abgelenkt und habe erst heute Deinen Beitrag gelesen.
Ja, das ist starker Tobak. Und interessant geschrieben.
So 'dahinplätschernd' wie es geschrieben ist, so wird es auch konsequent bis zum Ende durchgezogen. Dabei wird das Massaker ausgeblendet und wieder lediglich 'dahinplätschernd' mit den Tatbeteiligten reflektiert. Allerdings - so interpretiere ich es - geht auch der Protagonist mit dem Erlebten und mit seinen Gefühlen 'dahinplätschernd' um. Möglicherweise als Verdrängungseffekt. So, wie er einst aus dem geordneten Europa floh, flüchtet er sich jetzt nach dem Erlebten vielleicht auch in etwas hinein, um seinen Gefühlen nicht zu viel Raum zu geben und ihn wohlmöglich noch aus seinem 'seelischen Hideaway' zu locken. Man wartet auf einen Knaller als Überraschung - sei es beispielsweise eine tiefgründige Gefühlsregung - aber die Überraschung ist eigentlich, das der Protagonist das ganze tatsächlich konsequent 'dahinplätschernd' übersteht. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er nun abschließend den Fernseher einschaltet, sich ein paar Erdnüsse und ein Bier holt und eine belanglose Quiz- oder Comedyshow guckt. Sozusagen als Seelenpflaster.
Stilistisch ist es tatsächlich bewundernswert konsequent. Passend für einen französischen Film der 90ger und 00er.
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02.10.2015 20:57
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