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Natürlich hatten wir Angst vor der Polizei. Für nächsten Montag hatte Bodo einen Flug nach Deutschland gebucht. Sicherlich würde dort seine Ex-Gemahlin seinen Gemütszustand wieder ins Lot bringen.
Oswaldo hatte seiner Mutter erzählt, dass er versuchen würde auf einem Camaronero anzuheuern. Sie kannte den wahren Grund seiner plötzlichen Abreise aus Puerto Santo nicht. Er hatte unglaubliches Glück. Noch am Wochenende schiffte er sich ein.
Für Lino Filizzola war die Lage brenzlich. Ich rief Rangel an und fragte nach seinen Fortschritten.
“Romero ist ermordet worden”, beschwerte er sich ungehalten, “wie soll ich da weitermachen?”
“Ja, das erschwert die Sache”, räumte ich ein.
“Nein, das erschwert die Sache nicht nur, sondern das macht weitere Ermittlungen ziemlich unmöglich”, sagte er aufgebracht. Natürlich wusste er wer für den Tod Romeros verantwortlich war.
Ich schwieg. Er wartete eine Weile und seufzte.
“Señor Filizzola ich glaube nicht, dass ich diesen Auftrag erfolgreich zu Ende bringen kann. Nicht nur Romero wurde ermordet sondern auch José Gutierrez und Freddy und Hercules Gonzales. Alle waren mit Romero am Mord an ihrem Vetter beteiligt.”
“Wir werden Ihre Erfolgsprämie bezahlen. Der Betrag wird morgen auf Ihr Konto eingezahlt.”
Rangel verstand, dass Filizzola den Auftrag als beendet betrachtete.
Jetzt musste sich Lino aus dem Staub machen. Noch in der Nacht reiste ich per Bus nach Caracas und von dort nach Coro. Ohne grosse Schwierigkeiten fand ich in La Vela, dem Hafen von Coro, einen Peñero, der frisches Obst und Gemüse nach Curaçao brachte und mich dort absetzte ohne dass ich je eine Passkontrolle passierte.
Im Hotel Pelikaan in der Langestraat mietete ich ein Zimmer für zwei Nächte. Ich rasierte mich sorgfältig, färbte meine Haare wieder braun und liess sie anschliesend ultrakurz schneiden. Langsam folgte ich den Horden von Touristen durch das Zentrum von Willemstad. Mit Lino Filizzolas Kleidung durfte ich mich auf keinen Fall in Venezuela sehen lassen. Im Einkaufszentrum beim Hotel Plaza gab es ein paar Schaufenster mit karibischen Herrenmoden. Ich betrat ein Geschäft. Drinnen herrschte angenehme Kühle. Die Jalousien dämpften das grelle Sonnenlicht, ein Song von Gloria Stefan tönte aus einer unsichtbarenTonsäule.
“Ja, Mijnheer”, sagte eine geschäftstüchtige Verkäuferin und wandte ihren Krauskopf.
Kaum zu glauben, vor mir stand Indira Bankamp, eine Gespielin aus fröhlichen Zeiten.
“Kon ta bai, dushi?” grüsste ich erstaunt.
“Kiko bo hase aki –was machst du hier? Bo tin hopi tempo aki nan –bist du schon lange da?”
“Nein, bin gerade aus Bonaire gekommen.”
“So ein Zufall, dass du ausgerechnet in meinen Laden kommst. Willst du vielleicht sogar etwas kaufen?”
“Kleide mich nach deinem Geschmack. Du sollst dich meiner nicht schämen, wenn wir heute abend ausgehen.”

Am nächsten Morgen erwachte ich mit Kopfschmerzen und den üblichen, chronischen Schuldgefühlen. Zwar hatte mein Bericht über die jüngste Vergangenheit Indira davon überzeugt, dass ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein geeigneter Sexpartner war, aber dennoch fühlte ich mich wegen der durchzechten Nacht wie ein Verräter an Adela und meiner Mutter.
Ich vertrödelte den Tag, den grössten Teil döste ich vor dem Fernseher. Meine Rückkehr nach Venezuela bekümmerte mich. Was hatte die Polizei ermittelt. Lengua de Trapo war erschlagen worden, wie meine Mutter und genau wie Adela hatte man ihm eine Kugel in den Mund gejagt. War das nicht eine unübersehbare Spur für jeden halbwegs aufgeweckten Kriminalbeamten?
Curaçao war einst holländische Kolonie und ist immer noch ein autonomer Staat des niederländischen Königreichs. Deshalb wurde mein europäischer Pass bei der Ausreise kaum angesehen. Aber als DCA in Caracas landete, stempelte der venezolanische Beamte das Einreisedatum beim Passieren der Kontrolle in meinen Pass. Zur Zeit des übereilten Ablebens der Mörder war Hieronimus Seehofer nicht in Venezuela gewesen.

Fast fünf Monate waren vergangen, das Geschäft ging miserabel. Es war mir egal. In den Nächten plagten mich Alpträume, immer derselbe, die Polizei kam mich abzuholen. Regelmässig erwachte ich schweissgebadet, immer wenn sie mir gerade die Handschellen anlegen wollten. Danach lag ich wach und lauschte auf das Rauschen der Wellen. Oft glaubte ich das Tuckern eines Aussenbordmotors zu hören und schlich, Pistole in der Hand, zum Fenster um hinauszuspähen auf den nachtschwarzen Golf. Wenn ich schliesslich wieder eindöste, tastete ich beim Erwachen nach Adela.
Die Polizei hatte keine Nachforschungen hier im Jaidauay angestellt. Rangel hatte keinen Erpressungsversuch gemacht – ich hätte ihn sofort eliminiert. Dennoch begann jeder neue Tag mit neuer Furcht vor meiner Festnahme.
Dann kam Mark. Mit zehn Schülern im Schlepptau. Er brachte Leben in die Posada. Die Franzosen aus der Normandie kamen kurz danach. Aida, die Schwester Adelas, hatte ihre Stelle in der Küche eingenommen. Sie hatte José, ihren Mann, mitgebracht, der als Faktotum fuer alles agierte und ausserdem seine Machete nie weiter als eine Armlänge entfernt liegen liess.
Und dann kam Yanira.
Sie erschien in hautengen Hot Pants, T-shirt und Sportschuhen. Als einziges Gepäck trug sie eine mittelgrosse Reisetasche und ein paar Schwimmflossen. Im ersten Augenblick freute ich mich. Hernach schämte ich mich wegen dieser Freude und dann begann ich zu überlegen. War Yanira eine Verwandte, oder zum mindesten eine Freundin Romeros gewesen, oder gar seine Geliebte? Was wusste sie? Hatte sie mich vielleicht doch erkannt, damals als ich im Auto vor Romeros Haus stand? Wozu war sie gekommen? Mich auszuhorchen? Der Polizei bei den Ermittlungen zu helfen?
Ich musste unbedingt mehr erfahren über das Verhältnis Yaniras zu Lengua de Trapo. Was konnte ein Wesen wie sie mit einem verrohten Drogenhändler zu tun haben? Ich wählte die Nummer Elvias. Niemand antwortete.
Wenn Yanira mit unfreundlichen Absichten gekommen war, so verstand sie es meisterhaft darüber hinwegzutäuschen. Sie benahm sich mit erlesenem Takt und Einfühlungsvermögen.
Den ganzen Tag hielt ich fast ostentativ Abstand von ihr, fand aber später mein Verhalten nicht nur lächerlich, sondern auch unhöflich.
Am Abend servierte ich das Essen und setzte mich zu ihr. Sie schien diesen Augenblick erwartet zu haben. Sie lehnte sich zurück, kreuzte die Beine und fragte wie beiläufig:
“Weisst du, dass ein Untermieter meiner Mutter ermordet worden ist?”.
“Nein, woher soll ich das wissen?”
Gekreuzte Gliedmassen, dachte ich, eine negative Geste der Körpersprache, sie will mich täuschen.
“Die Polizei verhörte meine Mutter”, fuhr sie fort.
“Sie fragten, ob er Feinde gehabt hätte und dergleichen Kram. Ja, und auch ob sie den Besitzer des Jaidauays kannte.”
“Wieso denn das?”
“Die Polizei hält den Tot Romeros – so hiess der Untermieter - für einen Ajuste de Cuentas.”
“Das heisst, die Polizei glaubt, Romero sei der Mörder meiner Mutter und Adelas. Wahrscheinlich wissen sie es sogar sicher.”
“Ja und sie halten dich für den Mörder Romeros.”
“Nicht an den Haaren herbeigezogen. Die Sache hat nur einen Hacken.”
“Und das wäre?”
Fast hätte ich gesagt, dass ich doch im Ausland gewesen war, als Romero ermordet wurde. Aber Yanira hatte mir noch nicht erzählt, wann der Mord an Romero verübt worden war. Ich zögerte verwirrt. Dann liess ich die Sache mit dem Hacken auf sich beruhen und fragte:
“Glaubst du auch, ich sei der Mörder.”
“Du warst ja nicht in Venezuela zur fraglichen Zeit, sagte Yanira und sah ins Leere.”
“Weiss das die PTJ nicht?”
“Was die Polizei weiss und denkt, kann ich nicht sagen, aber ich denke du hättest auch einen Sicario anheuern können.”
“Dazu wäre ich gewiss bereit gewesen, wenn ich gewusst hätte, wer der Mörder war. Ja, ich hätte es mir nicht nehmen lassen, ihn persönlich zu erdrosseln. Der Hacken an der Geschichte ist nur, dass ich eben nicht wusste, wer der Typ war und wo ich ihn finden konnte.”
Yanira gab dazu keinen Kommentar. Wieder schaute sie an mir vorbei aufs Meer hinaus.
“Vorige Woche ist ein Verwandter von Luis Romero, bei meiner Mutter gewesen. Er ist Kolumbianer, wie Luis. Er stellte ihr dieselben Fragen wie die Polizei. Hector Romero heisst der Typ. Es sieht so aus, als würde er sich persönlich der Sache annehmen. Ein Polizist aus der Nachbarschaft hat meiner Mutter geraten, sich in acht zu nehmen. Der Mann sei ein Capo des Kartells von Medellin.”
“Schön und …..”
“Ich muss dich warnen. Niemand legt einen Mann des Kartells um und ueberlebt ihn mehr als ein paar Wochen. Bestimmt wird er Ermittlungen hier im Jaudauay anstellen. Bei seinen Verhören wird er sich kaum an die Genfer Koventionen halten. ”
“Sehr lieb von dir, ich werde mich in acht nehmen”, sagte ich ironisch und ohne grossen Nachdruck.
“Nimm das nicht auf die leichte Schulter”, riet mir Yanira stirnrunzelnd.
Nachdenklich nippte ich an meinem Bier. Zugegeben, mein erster Gedanke war, Hector zu beseitigen. Nun fragte ich mich, ob es nicht gerade das war, wozu man mich bringen wollte. War Luis Romero wirklich nur der Untermieter von Yaniras Mutter gewesen. Konnte er nicht Yaniras Geliebter gewesen sein? Beides? Wieder plagten mich diese Fragen. Oder war vielleicht Hector der Geliebte? Sollte ich beim Versuch Hector Romero zu töten auf frischer Tat ertappt werden? Hatte Hector sie dazu angestiftet, mich in eine Falle zu locken oder die Polizei?
Yanira legte ihre Hand auf meinen Arm und murmelte:
“Sei vorsichtig!”
“Ich gehe schwimmen”, sagte ich.
“Ich komme mit”, sagte Yanira.
Im Morgengrauen joggte ich entlang meiner gewohnten Strecke. Vorbei an meinem üblichen Wendepunkt lief ich weiter und weiter. Als die Sonne aufging setzte ich mich in der frischen Morgenbrise auf einen Stein und starrte hinaus auf das leicht gekräuselte Wasser des Golfs. Yaniras Rolle war mir immer noch unklar. Ich würde vorsichtig sein, aber ich würde Hector Escobar nicht ermorden. Das Wissen um die Gefahr und das Bewusstsein Herr meines Handelns zu sein gab mir neues Selbstvertrauen. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte ich mich erleichtert.

Yanira war nirgends zu sehen. Aida meinte sie sei tauchen gegangen.
Das Jaidauay wirkte verlassen, wie ausgestorben. Ich ging an den Strand. Weit draussen im Golf waren Segelbretter auszumachen, die Franzosen wahrscheinlich. Mark war mit seiner Gruppe im Morgengrauen zur Guacharohoehle aufgebrochen. Eine Zeitlang liess ich mich im Wasser treiben, dann schwamm ich weit aus der Bucht hinaus. Keine Spur von Yanira.
Ich marschierte zum Restaurant, um zu frühstuecken. Yanira stand in ein Badetuch gehüllt bei Aida an der Bar. Neben ihnen ein schwergewichtiger Mann, mit für diese Breitengrade ungewöhnlich weisser Haut. Drei weitere Gestalten sassen an einem Tisch.
"¡Corre! Corre! - Renn!"schrie Yanira, als sie mich auf das Restaurant zukommen sah.
Und ich rannte.
"Gerónimo! Gerónimooo!" gellte der Schrei Adelas in meinen Ohren.
Und ich rannte.
Ich sah meine Mutter tot auf dem Boden vor der Theke liegen.
Und ich rannte, blindlings stürmte ich in das Restaurant, hechtete nach meiner Pistole über dem Balken des Vordachs, hörte Schuesse bellen, fuehlte dumpfe Schläge ueber meinem Schluesselbein, im Schenkel, fiel auf die Knie und feuerte auf die Männer, die vom Tisch aufgesprungen waren und ohne zu zielen auf mich ballerten. Ein röchelndes Knurren drang aus meiner Kehle. Ich wusste nicht wie oft ich abdrückte, einer nach dem anderen der Kerle fiel zu Boden. Das Magazin war leer. Der Hellhäutige zerrte Yanira an den Haaren an sich und hielt den Lauf seiner Pistole an ihre Schläfe. José tauchte hinter ihm auf. Er fällte den Mann mit einem wuchtigen Hieb seiner Machete in die Kniekehlen. Yanira trat nach seiner Pistole. Das Badetuch rutschte ihr vom Körper. Nackt stand sie über dem Mann, mit erhobenen Haupt, stolz wie eine heidnische Rachegöttin. Ich wankte auf sie zu. Blut quoll aus meiner Schulterwunde, mein rechtes Bein wollte mir den Dienst verweigern, es schwindelte mir. Ich suchte Halt an der Bar, presste die Zähne aufeinander.
Abgrundtiefer Hass spiegelte sich in den Augen Hector Romeros. Kalt wie Kieselsteine im Eiswasser starrten sie mir ins Gesicht. Er zischte mit vor Schmerz verzerrter Stimme:
“Te voy a quebrar - ich bringe dich um. Te voy a joder. Ich schneide dich und diese verräterische Hure in Stücke. Ihre ganze Familie mache ich kalt!”
Dieses Mal würde ich die Drohungen nicht in den Wind schlagen. Ich konnte mir die Zukunft nur allzu plastisch ausmalen. Seine Sehnen würden genäht werden, sie würden heilen. Wenn überhaupt, würde er nur kurze Zeit im Gefängnis sitzen. Danach würde er uns auflauern, auf eine Gelegenheit warten. Tag und Nacht mussten wir auf der Hut sein, unser Überleben war dem Zufall überlassen. Zufall…Zufall wirbelte es in meinem Gehirn…und der Mensch versuche die Götter nicht…. , räsonierte ich, hob Hectors Pistole auf, zielte wankend auf sein Gesicht und drückte ab.
Bevor meine Beine unter mir einknickten fühlte ich die stützenden Arme Yaniras.
Als ich aus der Ohnmacht erwachte, haftete der betörende Duft ihres nackten Körpers noch in meinen Nüstern.

Denis Molina, der Gouverneur, kam in Begleitung zweier bis auf die Zähne bewaffneter Leibwächter in Zivil in mein Zimmer in der Klinik. Mir schwante Übles.
Er wüsste aus dem Polizeibericht, nicht aus der Zeitung, wie er betonte, von dem Überfall auf das Hotel. Weiter sagte er, dass ihn der Polizeichef informiert hätte, sämtliche Beteiligten an dem Überfall seien ums Leben gekommen. Ausserdem sei auch der Mörder meiner Frau und meiner Mutter getötet worden.
Er schwieg und sah mir streng ins Gesicht. Dann räusperte er sich und schmunzelte.
“Getötet von einer rivalisierenden Bande.”
Er hoffe, dass ich weiterhin am Aufschwung der Region mitarbeiten würde, trotz des Schmerzes über den Tod meiner Angehörigen.
Bei den nächsten Wahlen würde Denis Molina meine Stimme erhalten. Und er rechnete damit.

Hi Onivido
Ich dachte erst, die Geschichte sei schon am Ende gewesen und freue mich umso mehr, ein Fortsetzung des Gemetzels zu lesen und bin schon gespannt auf die nächste Episode.
Das 'Dahinplätschern' des Erzählstils ist in so einem herrlichen Kontrast zu dem Handlungsablauf. Es bringt richtig Spaß, das so zu lesen.

Gruß,
Tessy

Hallo Tessy,
jetzt ist ausgeplaetschert. Danke fuer den Kommentar. Beste Gruesse///Onivido