Literaturforum - Kurzgeschichten, Erzählungen, Romane, Gedichte - Bücher und eBooks

Es ist nicht meine Absicht eine Anleitung zum Betrieb einer Kokaingrossküche zu erstellen, es kann aber nichts schaden ein wenig von einigen Leuten zu erzählen mit denen ich dort mehr als zweieinhalb Jahre zusammenlebte.
„Punto y Coma“ –Strichpunkt- , mein Assistent, war zweifelsohne derjenige mit dem ich den grössten Teil des Tages verbrachte. Apothekergehilfe aus Barquisimeto träumte er davon einmal als wohlhabender Mann die Apotheke an der Ecke zu kaufen. Alle die ihn früher wegen seines Hinkens gehänselt hatten, würden seinen Whisky trinken und über seine Witze lachen. Magaly würde die Vorteile eines finanziell unbeschwerten Lebens einsehen. Endlich würde sie verstehen, dass er, Hernan Ramirez Bueno, verspottet und verlacht, trotz eines kürzeren Beins mehr Substanz und Character hatte, als alle die Schönlinge des Fitnesscenters in dem sie ihre Freizeit verbrachte. Sie würde ihn heiraten und intelligente, gesunde Kinder zur Welt bringen.
Dann war da noch “el Mecanico Loco”, dürr und zäh, mit langen nagetierartigen Schneidezähnen. Es gab nichts, was er nicht mit einer Nagelfeile reparieren konnte. Obgleich wir gut mit allen möglichen Werkzeugen ausgerüstet waren, fand er das entsprechende Instrument selten. Wiewohl Kokainkonsum uns allen bei Todesstrafe verboten war, hegten wir den Verdacht, dass der Mecanico sich nicht immer an diese Vorschrift hielt.
Von grösster Wichtigkeit für uns alle war “El Banquero”, der so alle zwei Wochen einmal für ein paar Stunden im Flugzeug aufkreutzte und unsere Bestellungen und Banküberweisungen in Auftrag nahm. Seine Ehrlichkeit wurde durch den Comandante und das Unterweltgesetz garantiert, welches sein Überleben nach einem Betrug unwahrscheinlich machte. Zudem hatte er auch keinen Grund sich das Geschäft zu verderben. Bei Überweisungen kassierte er fünfzehn Prozent Komission und die Einkäufe hatten alle einen tollen Aufpreis.
Allein an mir verdiente er sechstausend Dollar alle dreissig Tage mit Überweisungen an Maria und auf mein Konto in den Bahamas. Vor meiner Abreise in das Dschungelcamp hatte ich die Adresse und Kontonummer Marias durch ein Detektivbüro ermitteln lassen. Gerne hätte ich den Kindern Geschenke gemacht, aber ich wusste nicht wie. Nicht dass der Comandante keine Verbindungen in Deutschland gehabt hätte, jedoch wusste ich nicht wie er meine spätere Kündigung hinnehmen würde – ich hatte mir sagen lassen, dass Kündigungen im Kokaingeschäft nicht akzeptiert wurden. Deshalb hielt ich es für klüger ihn nicht daran zu erinnern, dass ich Familie hatte.
Ja, und natürlich war da auch der Exguerillero Gatillo Alegre, der Lagerchef, offenbar ein enger vertrauter des Comandante. Er komandierte nicht nur die Arbeiter sondern versuchte es, wenigstens anfangs, ebenso mit mir. Seine engsten Mitarbeiter schienen die vier Wächter zu sein. Angeblich waren sie für unsere Sicherheit zuständig, in Wirklichkeit jedoch ebenso, um uns daran zu hindern zu desertieren, oder bei einem Anfall von Lagerkoller kopflos in den Dschungel zu flüchten. Cara ’e Caballo und Chicho machten meistens Streifzüge durch die nähere Umgebung während Boca ‘e Sapo und Corocoro schwerbewaffnet im Camp herumlungerten und uns in den Nacken atmeten.
Zum anderen waren sie die Stammkunden der Caleña, einer Skulptur von einem Weib. Sie war für die Küche zuständig, jedoch schien es ihre Hauptaufgabe zu sein die sexuellen Nöte der VIPs unter der männlichen Lagerbevölkerung zu lindern. Anfangs hatte sie ihre Verachtung für mich nicht verhehlt. Sie hielt mich für geizig oder schwul, wahrscheinlich beides, weil ich ihre Dienste nie beanspruchte.
Ihre Meinung über mich und ebenso meinen Tagesablauf änderte sie nach einer zufälligen Begegnung unter stimulierenden Umständen. An jenem Morgen war ich wie gewohnt genau vierzig Minuten rund um die Landebahn getrabt und dann zum Fluss gelaufen um zu baden. Es war noch dunkel und köstlich kühl. Genüsslich liess ich mich ins Wasser sinken. Schreck lähmte mich für einen Sekundenbruchteil. Keine fünf Bootslängen flussaufwärts driftete bewegungslos ein dunkler Körper, ein Kaiman. Ich wagte keine Bewegung und liess mich treiben. Der Kaiman drehte sich träge und verwandelte sich in ein hüllenloses weibliches Wesen, die Caleña. Ich stemmte meine Füsse in den Flussand bis die Strömung ihren nackten Körper an mich drängte. Die Natur macht es gesunden unbekleideten Männern unmöglich ihre hormonellen Reaktionen zu verbergen. So blieb der Caleña mein Zustand keinen Augenblick verborgen. Ein befriedigtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Wie um sich an mir festzuhalten schlang sie ihre Arme um mich. Ich bebte. Meine Hände kosten ihren Körper, mein Mund presste sich an ihren Hals. Ich biss sie sanft. Sie drängte sich an mich. Eng umschlungen versanken wir im Wasser bis uns die Atemnot dazu zwang voneinander abzulassen, um aufzutauchen. Nur für einen kurzen Moment, dann umfassten mich ihre Schenkel und sie sog mich in sich hinein.
Von diesem Tag an trafen wir uns regelmässig am Fluss. Gelegentlich lief Maria, - so hiess auch sie mit ihrem Taufnamen, - mit mir einige Runden auf dem Rollfeld.
Maria brauchte Geld. Sie wollte zusammen mit ihrem Novio, -ihrem Verlobten-, ein Haus kaufen und Kinder zur Welt bringen.
Es beklemmte sie, dass ihr Novio ahnen könnte wie sie ihr Geld verdiente, dass ihm die Wartezeit zu lang würde, dass er eine Andere finden könnte. Manchmal sah ich Tränen in ihren schwarzen Augen und ich war zärtlich zu ihr.
Gatillo sah es nicht gerne, wenn ich in meiner Freizeit das Camp verliess und den Dschungel auskundschaftete. Er ging nicht soweit es mir in aller Form zu verbieten, aber er liess keinen Zweifel daran, dass es ihm nicht in den Kram passte. Es war mir klar, dass ich seine Autorität nicht untergraben durfte. Das wäre dem funktionieren unserer Produktionsstätte nicht tauglich gewesen. Ausserdem hätte das bestimmt einen tödlichen Unfall für mich zur Folge gehabt. Also versuchte ich ihn freundlich zu stimmen, nach dem Motto, “du musst mit den Wölfen heulen“. Ich versäumte es nie ihn kameradschaftlich einzuladen, wenn Punto y Coma und ich eine Whiskyflasche leerten. Auch versuchte ich ihn zu überreden mich bei meinen Ausflügen in den Dschungel zu begleiten.
Aber er hatte sein ganzes Dasein in Camps und auf stetiger Flucht durch den Dschungel gelebt und konnte dem keine abenteuerliche Seite mehr abgewinnen. Zum anderen war seine Gegenwart im Camp rund um die Uhr nötig um zu verhindern, dass sich die Arbeiter bei Streitigkeiten gegenseitig die Gurgel durchschnitten.
Als ich ihm riet dem Comandanten vorzuschlagen unsere Rollbahn mit Büschen auf Rollwägelchen zu tarnen, hatte ich endgültig sein Vertrauen gewonnen.
Dieses missbrauchte ich um zwei Stunden flussabwärts drei Baumstämme zu fällen. Ich hing sie senkrecht in ein paar Metern Abstand vom Boden in das Geäst eines Baumriesens zum trocknen. Sie waren auch für ein geübtes Auge kaum auszumachen. Damit wollte ich bei Bedarf ein Floss bauen um mich absetzen zu können. Schon seit einiger Zeit dachte ich darüber nach, wie ich einmal ungeschoren meinen Dienst quittieren konnte.
Der Vorschlag des Comandante wir sollten uns ein paar Wochen Urlaub am Meer gönnen, liess meine Befürchtungen und Vorsichtsmassnahmen etwas übertrieben erscheinen. Aber Vorsicht kann bekanntlich nie schaden.

Am Tag des Überfalls waren der Banquero und überraschender weise auch der Comandante aus dem Flugzeug gestiegen.
Letzterer hörte sich meinen Lagebericht aufmerksam an und diskutierte anschliessend Massnahmen zur Produktionssteigerung.
Der Banquero hatte mir mein aktualisiertes Sparbuch in einer wasserdichten Plastikhülle mitgebracht. Auch hatte er mir elektronischen Zugang zu meinem Konto verschafft. Ehrfurchtsvoll betrachtete ich die Zahlen. Immer wieder zog ich das Büchlein aus seiner Hülle und sah fasziniert auf die Einträge. Gegen vier Uhr Nachmittags setzten wir uns, der Comandante, Gatillo, der Banquero und ich, unter das Palmwedeldach eines Bohios und nippten an unseren Whiskygläsern – der Banquero hatte einige Flaschen mitgebracht zum Verkauf natürlich, was selbstverständlich nicht für den Comandante galt. Er schuldete ihm cortesia - höfliche Grosszügigkeit.
Jählings bellte Maschinengewehrfeuer aus der Lichtung vom Fluss her, wo die Boote mit Kokapaste anlegten. Die Einschläge zerfetzten die Wände des Labors hinter uns. Ich hechtete hinter das Stromaggregart und tastete meinen Leib nach Wunden ab. Dabei streifte mein Blick den Tank des Dieselmotors. Meine durch Actionfilme ausserordentlich bereicherte Fantasie fürchtete eine Explosion. Ich rollte hinter die Baracke neben dem Labor. Dann spurtete ich auf den Dschungel zu. Absonderlicher Weise erreichte ich die Büsche unversehrt. Ohne Rücksicht auf Dornen und Schlangen, Ameisen, giftige Raupen und Spinnen warf ich mich in den Busch. Dann spähte ich zum Bohio. Corocoro und Gatillo Alegre hatten sich hinter dem Labor verschanzt und schossen zum Fluss. Boca’e Sapo lag auf seinem Gesicht vor dem Labor, daneben grotesk verdreht Punto y Coma. Immer noch kamen Feuerstösse vom Fluss. Keiner der Angreifer war zu sehen. Es konnte nicht mehr lange dauern bis sie Corocoro und Gatillo in den Rücken fielen. Wieso zogen sich die beiden nicht in den Dschungel zurück? Vom Comandante keine Spur. Wo waren Cara ’e Caballo und Chicho. Sie waren doch dazu da den Dschungel zu durchstreifen um solche Überraschungen zu verhindern.
Stille. Ich kroch langsam durch das dornige Gestrüpp auf einen Baumriesen zu. Da blitze es aus dem Dschungel hinter dem Labor. Corocoro brach zusamen. Gatillo wurde von einem Feuerstoss geschüttelt und sank zu Boden.

Drei Gestalten liefen gebückt vom Dschungelrand zum Labor. Sie untersuchten rasch Corocoro und Gatillo um sich zu vergewissern, dass beide wirklich tot waren. Dann durchlöcherten sie die Tür des Labors mit einem Hagel von Schüssen und verschwanden schliesslich im Inneren des Labors. In diesem Augenblick erhob sich eine Gestalt aus dem Dickicht, der Comandante. Mühsam humpelnd schleppte er sich zum Dschungelrand. Ich sprang auf und rannte aufs Labor zu, fasste Corocoros Gewehr, entriss ihm ein Magazin Munition und stürmte zurück in den Schutz des Baumriesens. Der Comandante war wieder verschwunden. Das Gewehr schussbereit drängte ich mich vorsichtig durch das Gebüsch in Richtung eines Pfades, der zum Fluss führte. Noch bevor ich ihn erreichte sah ich den Comandante. Er lag gekrümmt auf dem Pfad und versuchte sich mit seinem Hemd einen Verband an seinen blutigen Oberschenkel zu legen. Bewegungslos blieb ich auf der Stelle und überwachte den Pfad.
Möglicherweise, weil ich aus der Stirpe des Wildschütz Jennerwein stamme, oder vielleicht auch nur weil ich bei den Fallschirmjägern der Bundeswehr zum Scharfschützen ausgebildet worden war, jedenfalls kam der Mann der vom Fluss her auf den Comandante zuschlich nicht dazu abzudrücken. Ich erlegte ihn mit einem einzigen Kopfschuss. Der Comandante richtete sich halbwegs auf und warf sich ins Gebüsch. Gegen meine Kugeln aus dem Hinterhalt hatten auch die folgenden zwei Männer in Tarnanzügen keine Chance. Nach ihrer Eliminierung arbeitete ich mich lautlos durch den Dschungel auf den Fluss zu, stieg auf einen Baum und beobachtete dann wieder den Pfad. Mehr als eine halbe Stunde verharrte ich auf meinem Hochsitz. Der Comandante kam auf das Gewehr eines meiner Opfer gestützt und schleppte sich auf dem Pfad in Richtung Fluss. Ich verliess meinen Beobachtungsplatz und schlich auf ihn zu. Sein Erschrecken bei meinem plötzlichen Auftauchen an seiner Seite bereitete mir eine perverse Genugtuung.
“Warte hier. Ich gehe die Gegend auskundschaften,” flüsterte ich.
Er nickte mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Langsam und lautlos, das Gewehr schussbereit in den Händen, näherte ich mich dem Fluss. Als ich das Wasser roch, verliess ich den Pfad und zwängte mich mühsam durch den Dschungel. Mindestens zehn Minuten beobachtete ich das Flussufer, bevor ich mich aus der Deckung wagte. Flussaufwärts lag einsam und verlassen die Stelle von der die ersten Schüsse gekommen waren. Gebückt schlich ich darauf zu, bis rechts unser Camp zu sehen war.
Als ich das Brummen eines Flugzeugmotors hörte sprang ich in den Fluss. Vorsichtig streckte ich den Kopf aus dem Wasser. Das Flugzeug konnte ich nicht sehen, dafür aber Cara ’e Caballo, der aus der Hocke mit seinem Gewehr auf mich zielte.

Hi Onivido
Wunderbar, wie Du die Situation im Camp schilderst. Ja, der Absteig des Protagonisten ist schon konsequent und stilsicher. Und schön, zu lesen, dass auch die bösesten Buben andere noch bösere Buben als Kontrahenten haben. Und sehr schön, wie Du die Spannung am Ende hochziehst. Hoffen wir einmal, dass die Calena das ganze auch überlebt. Schmutz, Elend, Brutalität und Romance ist doch eine Klasse Mischung. Das ist der Stoff, den solche Geschichten an sich haben - und dazu noch Intrige und Korruption.

Auch gut und realistisch, wie Du die Mann-Stopp Wirkung beschreibst. Mit einem Kopfschuss von vorne durchs Gesicht/Auge oder seitlich bis in den Gehirnstamm erzielt man bekanntlich die schnellste Wirkung.

Wenn die Böslinge nun mit Automatikgewehren umherlaufen, dann müsste doch das Maschinengewehr im Busch unbewacht sein, oder?
Und wenn der Cara 'e Caballo auf ihn zielt, dann bleibt dem Protagonisten jetzt nur noch die Chance, sein Gewehr unter Wasser in Position zu bringen und nach Gefühl auf Cara ’e Caballo zu zielen. Der kann das Gewehr im Wasser ja nicht sehen und je nach Gewehr und Munition kann der Medienwechsel Wasser/Luft zwar eine Veränderung der Schussbahn bringen aber ein hockender Schütze ist auch nicht unbedingt besser dran, denn er muss sich selbst und das Gewehr ausbalancieren. Und je nach Entfernung zum Ziel kann das Trefferbild dann doch eine deutliche Streuung aufweisen. Zumindest hat der Protagonist eine gute Chance, wenn er zuerst feuert, weil die Wahrscheinlichleit hoch ist, dass der andere Schütze erstmal in Deckung geht. Denn so lebensmüde ist wahrscheinlich auch ein Cara ´e Caballo nicht, dass er sitzen bleibt und feuert.

Bin gespannt, was der Protagonist nun macht. Vielleicht freuen sich auch beide, sich zu sehen und rauchen erstmal einen Joint.... :-)

Gruß,
Tessy

Hi Tessy,
das ist schon zuviel des Lobes. Da tut es mir direkt leid dass ich dich jetzt enttaeuschen muss. Das Schicksal der Caleña ist nicht bekannt, aber als Frau mit vielen Resourcen wird sie auch dieses Abenteuer ueberstehen, sofern sie nicht im Kugelregen umkommt. Waere wirklich schade um sie.
Noch eine weitere Enttaeuschung erwartet dich. Nachdem du soviele Anregungen gegeben hast, wie der Protagonist eine Kugel aus dem Gewehr von Cara ´e Caballo vermeiden koennte, muss ich dir verraten, dass die letzte Annahme deines Kommentars die richtige ist. Macht aber nichts. Im Laufe der Erzaehlung kommen schon noch ein paar Tote hinzu.
Bis dann///Onivido

Hi Onivido


Gruß,
Tessy