Im Schnee will ich töten. Ich gehe den täglichen Gang mit meinem Hund, es ist gut so, aber wenn es kalt und ruhig und weiß wird, werde ich nervös. Mein Friedhof, den ich so nenne, weil er zu meiner Kindheit gehört, die ich auch nicht teilen möchte, mag den Schnee. Er lässt sich lustig zuschütten, das Zeug liegt überall, keiner fegt da was weg. Ich fühle mich unwohl.
Heute habe ich ein Kaninchen beobachtet. Es war hungrig und alt, vielleicht auch krank, so wie die humpelnde Alte mit ihrer putzigen blauen Wollkappe und diesen unnützen Fragen in ihrem Gesicht. Ich habe es erledigt, es blieb ratlos sitzen, als ich kam. Ganz platt habe ich mich mit meinem Körper auf das Kaninchen geworfen und es zerquetscht. Gestrampelt hat es, das war kitzlig, obgleich ich die Skijacke trug, die ist gepolstert, da merkt man nicht wirklich, wenn kleine Füße dagegen treten. Aber vorstellen kann man sich das, wer sollte das auch verbieten, sich so strampelnde Beine vorzustellen, die irgendwann eben nicht mehr strampeln, weil man es geschafft hat. Fertig. Da liegt das tote Ding in diesem hübschen ekligen Weiß. Aber es macht mich nicht wirklich glücklich.
Ich sehe mich um und könnte kotzen. Es sieht aus wie im verschneiten Schwarzwald, ich stapfe hier durch irgendein unnützes Glottertal und fluche über die affigen weißen Mützen, die meine Grabsteine tragen. Achtundvierzig aus dem ersten großen Krieg, nur Russen, wieso eigentlich, was haben die hier in meiner Erde verloren, sollen anderswo liegen, im eigenen Dreck, unter ihrem eigenen verfluchten Pulver. In der Ecke, wo die Nonnen schlafen, bauen sie einen Schneemann. Er sieht jetzt schon furchtbar aus. Weil sie zu dritt sind, dürfen sie nach Hause gehen, Kastration wäre gut gewesen. Meine Ideen erfreuen mich ein wenig. Wirklich wohler fühle ich mich nicht.
Die Tannen haben Zipfel aus Puderzucker, dick Zucker, sieht so aus, und irgendwo hinter dem unorganisiert wachsenden Gestrüpp, das mein Hund zum Pinkeln schätzt, liegt die Alte mit der Wollkappe. Vielleicht liegt sie dort auch nicht mehr, die lokalen Nachrichten interessieren mich nicht, ich laufe hier einfach so herum und suche frierende Eichhörnchen. Ich wünsche mir, dass sie krepieren, sie sollen alle ins Loch fallen. Irgendein Loch, in dem man ersäuft.
Da hinten ist ein Teich, ganz schmuddelig und kalt ist der, zugefroren jetzt, um diese beschissene Jahreszeit. Ein paar lausige Fische sind schon darin erstickt, die schimmern durch die Eisdecke, beinahe hübsch ist das. Von mir aus sollen sie alle dort unten treiben und stinken, kleine tote steife Brötchen. Vögel, Fische, Eichhörnchen. Menschen. Egal. Man riecht ja nichts.
Der Schnee macht mich anders. Ich mache Spuren und mag sie nicht. Andere Schuhe bräuchte ich. Bessere Sohlen. Mein Hund ärgert mich. Er hat Spaß und fliegt durch das weiße Elend, als gäbe es kein Ende. Die Wiese, die der Schnee erstickt, ist riesig. Unter ihr sind meine Flüsterer. Er weiß es nicht, er überrennt sie. Ich würde ihn fangen und schlachten, wenn ich ihn nicht lieben würde. Er wälzt sich dort, wo besonders viel von dem Müll liegt. Er sieht aus wie mit weißer Farbe gesprenkelt, seine Nase scheint in einem Milchtopf gelandet zu sein. Gut für ihn, dass er Abstand hält. Ich trage diese lange schwarze Taschenlampe bei mir, es wird rasch dunkel. Die Lampe ist schwer, man kann damit Löcher in Köpfe schlagen.
Die Frau mit der Wollkappe hat etwas wirklich Idiotisches zu mir gesagt: „Herrliches Wetter heute, nicht wahr?“ So was sagt man zu mir nicht. Nicht im Januar. Nicht, wenn der Schnee gefallen ist. Meinem Großvater sind im Krieg die Zehen abgefroren. Und dann war sein Hund weg. „Die Front hat ihn geschluckt“, sagte er. Aber ich weiß, dass es der Winter war, der ihn sich geholt hat.
Der Kopf der Frau mit der Wollkappe hat eine schöne rote Farbe im Schnee hinterlassen. So was sehe ich gern. Bei dem Kaninchen musste ich nachhelfen. Ersticken ist zu sauber. Ich habe ein gutes Messer. Es ist nie verkehrt, so was bei sich zu haben. Mir könnte schließlich auch etwas passieren. Wie diesem kleinen Jungen mit den grünen Handschuhen, die zum Schal passten. Zu klein, zu korrekt, um einfach weitermachen zu können.
Der Bommel hing ihm im Gesicht, der Schnodder lief ihm aus der Nase. Seine gelben dummen Augen mochte ich nicht. Ich mochte seine kleinen roten Finger nicht, und er roch nach Kohl und hatte diesen ganzen Schnee, der überall an ihm hing. Er zog einen Schlitten hinter sich her. Ich sah mich auf ihm sitzen, den Hang hinunter fahren, fallen. Mein Körper verdreht. Sterben im Schnee. Ich wurde zornig.Trotzdem sprach ich ihn an. „Du warst wohl rodeln. Gut für dich?“ Er gab keine Antwort. Ich hasste ihn und sein Schweigen. Manchmal genügt das, um sterben zu müssen. Rot wie Blut, Weiß wie Schnee.
Ich blicke aus dem Fenster und möchte schlafen wie der Bär. Ich trage meinen weißen Kittel und würde gern bis zum Frühjahr die Luft anhalten. In der Hand halte ich ein Skalpell. Denke ich. Ich werde es mit in den Winter nehmen.
Ja Karin, auch ich fühle mich hin und wieder unwohl und trage einen weissen Kittel, unter dem eine Brust mit zwei Seelen wohnt: Dr Jekyll and Mr Hyde Und keiner begreift den anderen. Und das Schlimme ist, wir beide haben ein Slalpell!
Ja, eine schaurig, eigentlich nichts für meine schwachen Nerven, doch gute Karedgruselgeschichte.
Habe meine obige Aforisme wieder gelöscht. Dein Einwand war ja leider berechtigt. So werde ich bei fürderhin bei meinen Leisten bleiben! Und nicht versuchen klüger zu sein, als Bukowski!
Mit abermals freundlichen Grüssen, baroque - mande
Hallo Karin, Im Großen Buch der Heinzelmännchen gibt es eine Passage über die Wahrnehmung von Spuren. Jedes Tier hinterlässt, auch ohne Schnee, eine wahrnehmbare. Das Heinzelmännchen, das ausschliesslich nachts unterwegs ist, hat jederzeit eine Art farbige Linien vor sich. Wenn ich mich recht erinnere, hat es mit der Buttersäure zu tun. Die ganze Szene wird aber vom Mond beschienen, am Morgen zieht es sich zurück in sein Reich in den Baumwurzeln und macht alles dicht.
Karin, noch etwas, wenn du willst. Ganz allgemein mutet der Schnee hier an wie eine große Decke. Da noch rein, dort schon verschmutzt, besudelt, verbraucht. Darauf Figuren auf immer noch eigenem Plätzchen, mit all dem, was von früherem Schnee an ihnen hängt - Friedhof, Krieg, Spaziergänger. Eindringlich gezeichnet, der Strang eingefroren. Die Hauptfigur steht durch die Spur mit dem Schnee in einer lebendigen Beziehung. Um sich blickend hat sie alles in sich aufgenommen und dann verflüchtigt abgegeben über die Fußtapfen oder genauer, die Schuhsohlen. Nicht anders als einer, der von weitem kommend, noch kaum umrissen, dann vorbeigeht, sich entfernt, dessen Spur aber den Weg der Hauptfigur kreuzt und an diesem Punkt etwas vermittelt - im besonderen. Heute in diesen Schuhen, morgen in anderen. Ein Tier, das sich keine Schuhe zulegen kann, hat diese Wahl nicht. Wer die aber hat, könnte sich auch in dessen Abdrücke hineindenken oder hineingedacht werden.
Hola Karin, du hast gefehlt hier. Schlimme Geschichte. Grausig duester. Wann schreibst du mal wieder was in der Linie von “Einmal nur so dagewesen”. Saludos///Onivido
Ja, hat mir auch wieder gefallen, Karin. Den Text hatte ich auf phantastikon gesehen, wo ich gelegentlich hineinschaue. Hatte ja früher schon mal geschrieben, dass mir dein Schreibstil zusagt bzw. selbiger meinen Geschmack trifft. Meistens oder oft sag ich mal lieber. Wollen mal nicht wieder übertreiben mit der Lobhudelei... Davon mal abgesehen, tja ja, was gäbe es noch zu schreiben, was noch nicht geschrieben ist? Nichts? Hoffe, dem alten Teddy Toldi geht's noch gut? Tja, das Jahr neigt sich dem Ende entgegen, die Tage werden kürzer, schwärzer werden die Nächte und Gedanken.
ich möchte diesen Ihren Satzteil zum Anlass nehmen und einige Bemerkungen meinerseits beisteuern:
1
„Aber vorstellen kann man sich das, wer sollte das auch verbieten,…“
Ja, so ist das, auch der Leser kann sich etwas vorstellen und wer sollte es ihm verbieten? Darf ich ein Leser sein? Wenn ein Autor etwas veröffentlicht, kann er es sich nicht mehr aussuchen, wer es liest und einen Kommentar abgibt. Ich bin dann mal so frei!
1
„Unwohl“
Der Titel sagt mir, dass eine Geschichte kommt, wo sich jemand unwohl fühlt. Da sie unter „Grusel, Horror, makaber, seltsam“ steht, könnte es ein Opfer oder ein Täter sein. Schauen wir mal.
1
„Im Schnee will ich töten.“
Aha, ein Täter ist es und der fühlt sich unwohl? Nicht genügend Opfer? Liegt kein Schnee, denn den scheint er zu brauchen, zu wollen? Frau Kared lässt nichts anbrennen. Gleich mit der Tür ins Haus fällt sie. „Leser, jetzt kommt ein Text von einem Täter. Und sei auf der Hut, der fühlt sich unwohl, könnte gleich aus dem Bildschirm springen und dir den Tag versauen. Willst Du tatsächlich weiter lesen? Dein Problem, ich habe dich gewarnt!“
1
„Ich gehe den täglichen Gang mit meinem Hund, es ist gut so, aber wenn es kalt und ruhig und weiß wird, werde ich nervös.“
Ich mag diesen Ausdruck „es ist gut so“ nicht. „Ich bin schwul und das ist gut so!“ Ein bisschen widersprüchlich. Im ersten Satz bekennt er sich zum Töten im Schnee, das will er, freut sich vielleicht darauf, wenn er dann kommen sollte, wird er nervös, als wenn er Angst davor hat. Hat er noch Lampenfieber?
1
„Mein Friedhof, den ich so nenne, weil er zu meiner Kindheit gehört, die ich auch nicht teilen möchte, mag den Schnee.“
Der Friedhof wird personifiziert. Holt er sich seine Bewohner selber, braucht keinen Täter, fühlt sich der Protagonist deshalb unwohl? Kann ich verstehen, wenn man nicht mehr gebraucht wird. Warum nennt er das Ding Friedhof, weil er zu seiner Kindheit gehört? Wie würde er ihn nennen, wenn er nicht zur Kindheit gehört, zum Alter vielleicht? Nennt er das Ding dann Wiege? Schon seltsam, aber es macht keinen Sinn, den Gedanken eines Mörders Logik einzuhauchen, die spinnen halt.
1
„Er lässt sich lustig zuschütten, das Zeug liegt überall, keiner fegt da was weg. Ich fühle mich unwohl.“
Der Friedhof lässt sich zuschütten, aha, keine Gegenwehr, obwohl es doch eine Person ist, der es eigentlich nicht egal sein kann, wenn er keine Luft mehr kriegt? Ja, ich weiß, keine Logik! Und lustig ist es auch, obwohl er sich dann unwohl fühlt. Ein lustiges Unwohlsein? Entweder ein widersprüchlicher Protagonist oder eine Autorin, die es etwas übertreibt mit der Verwendung unmotivierter Adjektive. Wie auch immer, bei mir schafft es Distanz.
1 2
„Heute habe ich ein Kaninchen beobachtet. Es war hungrig und alt, vielleicht auch krank, so wie die humpelnde Alte mit ihrer putzigen blauen Wollkappe und diesen unnützen Fragen in ihrem Gesicht. Ich habe es erledigt, es blieb ratlos sitzen, als ich kam. Ganz platt habe ich mich mit meinem Körper auf das Kaninchen geworfen und es zerquetscht. Gestrampelt hat es, das war kitzlig, obgleich ich die Skijacke trug, die ist gepolstert, da merkt man nicht wirklich, wenn kleine Füße dagegen treten.“
Was ist das für ein Mörder, der sich an einem kranken Kaninchen vergreift? Weit und breit kein anders Opfer verfügbar gewesen? Doppelt auf den Hund gekommen. Könnte man nur noch steigern, indem man sagt: „Heute habe ich eine Fliege zerquetscht, war lustig, fühlte mich unwohl!“ Ich muss sagen, ich liebe Horror, aber hier war spätestens Schluss mit lustig. Frau Kared, einigen Lesern hat es gut gefallen, das ist gut so! Mein Geschmack war es nicht. Wünsche trotzdem ein schönes Wochenende, herzlichen Gruß, ein Gast
Eine Bemerkung noch: Gasts Kritik an den Gedanken/Formulierungen eines fiktiven Psychopathen nenne ich durchaus mutig , weil er klar nicht zur Zielgruppe gehört. Fremde im Genre verblüffen mich oft mit ihrer Sichtweise. Ansatzweise kann das interessant sein.
Nja, mag sein. Ich seh es so: Der Text ist eine Einheit und spricht mich an oder auch nicht. Ich würd nen Teufel tun und hier sätzeweise eine Story zerpflücken, die ich im Großen und Ganzen gut finde. Ich halt's ehrlich auch für relativ müßig, drüber zu diskutieren, ob ein fiktiver Psychopath (möglicherweise) Formulierungen gebraucht oder Dinge sagt, die (meiner Meinung nach) unlogisch sind, mir sinnvoll oder unsinnig erscheinen bzw. ob sie von der Autorin richtig wiedergegeben sind oder ob man nicht alles ganz anders schreiben würde. Kann man ja immer machen, wenn man es drauf hat und viel Zeit hat. Dazu ist ja ein Forum auch da. Jeder Psycho tickt halt anders und sagt oder tut Dinge, deren Sinn sich mir nicht erschließt. Daher alles gut so (egal ob schwul oder nicht): Weitermachen!
Guten Morgen, Frau Kared, zuerst freut es mich, wie Sie reagieren. Deshalb auch von mir ein „Danke“! Aber wieso gehöre ich nicht zur Zielgruppe?
Es gibt Leute, die sind ein Fan von Mario Barth. Es ist nicht unmöglich, dass er an einer Raststätte auf die Toilette geht, auf einer dieser modernen, wo die Brille automatisch gereinigt wird, wenn man mit der Hand symbolisch über einen Sensor wischt. Nicht nur, dass der Fan natürlich die Nachbarkabine besetzt, nein, er ruft auch noch in der Sekunde, als der liebe Mario aufsteht und die Hose hörbar hoch zieht: „Halt, bitte, bitte, nicht die Brille reinigen!“ Ich würde mich mit einem Autogramm begnügen, vorausgesetzt, er hat seine Wichsgriffel desinfiziert!
Wenn ich einen Kommentar schreibe, bin ich ja auch ein Autor und der Autor, dem der Kommentar gilt, ist mein Leser. Jetzt könnte ich Ihre Worte benutzen, als Plagiat sozusagen. Inhaltlich könnten sie auch zutreffen: „Kareds Kritik an den Gedanken/Formulierungen eines fiktiven Lesers (warum sollte ich keinen Protagonisten verwenden dürfen?) nenne ich durchaus mutig, weil sie klar nicht zur Zielgruppe gehört. Fremde im Genre verblüffen mich oft mit ihrer Sichtweise. Ansatzweise kann das interessant sein.“ Für mich ist jede Reaktion interessant, weil es mir einen kleinen Einblick gibt in die Seele des Angesprochenen. Und wenn der andere nicht blind ist, bemerkt er, dass auch ich die Tür ein wenig öffnen muss, sonst rennt er vorbei und mit ihm mein Ziel.
Guten Morgen, Max,
warum wiederholst Du Deine Meinung? Sie war schon im ersten Beitrag verständlich. Was den direkten Bezug auf eine andere Herangehensweise betrifft, will ich mich nicht wiederholen.
Wünsche Beiden einen schönen Dienstag, herzlichen Gruß, ein Gast