Ich bin jetzt nicht dumm, oder so. Ich hab sogar studiert, irgendwas mit Medien, natürlich, aber ich war jetzt nicht gerade der Jahrgangsbeste. Ich wollte eigentlich mal Journalismus studieren, ich hab mal ein Praktikum bei ner ziemlich großen Zeitung gemacht, aber so gründliche Recherche, die ganze Lektüre und das ständige, tiefgründig analytische Schreiben von elend langen Texten, das war nicht so meins. Wirklich nicht. Einmal, da hab ich mir vorgenommen, so ein Thema richtig zu durchdringen, also die ganze Komplexität zu verstehen und dann darüber einen Hammerartikel zu verfassen. Aber nach zwei Aufsätzen habe ich keinen Bock mehr gehabt und dann bei Wikipedia einfach was quergelesen. Selbst das fand ich dann voll anstrengend. Beim Schreiben des Artikels hab ich dann nach dem ersten Absatz entnervt aufgegeben.
Aber zum Glück gibt’s ja das Internet. Da gibt’s ja tausend Foren, wo man einfach so schreiben kann. Also ohne dass man’s richtig gelernt hat. Da gibt’s dann keinen Redakteur, oder so, der sagt: Ne, hör mal, das ist Bockmist, das sind ja nur irgendwelche Behauptungen, ohne Belege, ohne Quellenangaben, das können wir nicht drucken. Das ist Verquickung von Halbwissen mit deiner persönlichen Meinung, außerdem ist es sprachlich ziemlich schwach, das gibt nur Ärger.
Ne, so einen Redakteur gibt es nicht. Man kann in diesen Foren alles so in die Welt blasen, ungefiltert.
Aber was noch viel besser ist: Wenn man’s geschickt anstellt, kriegt man manchmal mehr Klicks als die BILD. Also gut, die kriegt ja keine Klicks, aber ich meine, ich kriege mit meinen Texten manchmal mehr Klicks als die BILD Exemplare verkauft. Und das ist schon ein irre gutes Gefühl, wenn du nach einem Tag von deiner Scheißarbeit nach Hause kommst, auf deine Seite im Forum schaust und siehst, dass tausende und abertausende deinen Artikel gelesen und einige hundert Leser den auch geliked haben. Das ist voll der Adrenalinkick, das kann richtig süchtig machen.
Also stellste noch einen Beitrag rein. Schnell noch so einen Text hingerotzt, diesmal vielleicht noch’n bißchen schärfer formuliert. Was immer gut kommt, ist, wenn du aktuelle Themen nimmst, also, was weiß ich, Flüchtlinge, Muslime oder Terrorismus. Da gehen die User richtig drauf ab. Am besten formulierst du irgendwas total Provokantes, so was wie: Alle Flüchtlinge sind Terroristen, oder: Gutmenschen zerstören unser Land. Da fühlen sich dann ganz schnell viele auf den Schlips getreten und posten krasse Kommentare und beleidigen einen persönlich. Dann schaltet sich noch einer ein, der kennt die Wahrheit, und noch einer, der kennt sie auch, aber ne andere Wahrheit, und alle reden auf einmal durcheinander und ich freu mich total, weil: Die gehen alle auf meine Seite. Und ich bin dann so was wie der Star im Forum. Sehr, sehr geil.
Aber manchmal werde ich auch müde vom Bloggen. Dann merke ich selbst: Ich tue immer so, als ginge es mir um die Themen, aber eigentlich weiß ich: Es geht nur um MICH! Dann sitze ich vor dem Computer und denke: Toll, jetzt bist du der Star in diesem einen Forum für fünfzehn Minuten, und daneben gibt’s noch tausend andere Blogger in einer Million Foren, und die schrubben sich auch einen auf ihre Klicks und die Aufmerksamkeit, die sie bekommen. Aber in einer Woche interessiert das niemanden mehr, was du da in diesem Forum verzapft hast. Wenn du wirklich was von Dauer schreiben willst, dann musst du richtig ranklotzen, richtig büffeln. Hab ich keinen Bock drauf, naja, was heißt, keinen Bock drauf, ich kann’s einfach nicht. Keine Disziplin. Keine Ausdauer.
Manchmal will ich auch nicht den ganzen Tag so vor dem Computer sitzen und mit Leuten quatschen, die ich gar nicht kenne und die mich nicht kennen. Ist doch voll blöd. Eigentlich will ich mich lieber mit Freunden treffen oder draußen was unternehmen. Aber die Freunde hocken fast auch alle vorm Internet und schreiben in irgendwelchen Foren. Und draußen ist grad n’bisschen kalt.
Na ja, ich geh jetzt trotzdem mal raus, der Text hier wird eh schon zu lang. Noch zwei Sätze mehr und die User scrollen runter und denken: Boah, nee, voll lang, les ich nicht. Soll ich nochmal über den text drüber lesen, wegen rechtschreibfehler und so? Ach, drauf gescchissen, copy und paste und dann ab dafür: Veröffentlichen!
es gibt viele Möglichkeiten, auf sich aufmerksam zu machen. Anstatt zu klotzen, hier mit einer Art von understatementtext. (Vielleicht ist es ja auch nur eine realistsche Selbsteinschätzung!)
Das Anliegen, literarisch nicht schlecht gebracht, wenn es auch ein wenig ´satirischer´ hätte sein können. Dennoch keine langweilige Morgenlekture!
Ich selbst habe mir understatement abgewöhnt. Früher, ich sagte oft ´Ich weiss nicht viel und kann zu wenig´. Anstatt zu hören: ´Stelle dein Licht nicht unter den Scheffel, war meist die Antwort: Ja, das stimmt!´
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09.02.2016 10:07
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