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Immer wieder gespenstisch, wenn sich die Bauten aus dem Novembernebel schälen, wie riesenhafte Wesen, dachte der Autofahrer. Förster Rothgänger bekam eine Gänsehaut, als er die Überreste der Torpfeiler mit seinem Jeep durchfuhr. Das Radio schwieg, schon vor Kilometern abgestellt. Soweit draußen konnte man sowieso kein Sender störungsfrei empfangen. Mittlerweile war die Nacht einer blassen Dämmerung gewichen, welche von den unscharfen Silhouetten des Nebels bestimmt wurde.
Er fuhr mehrmals die Woche an den roten Häusern vorbei. In der Nähe stand ein alter Hochstand, den er aber so gut wie nie benutze. Die Ruinen in Sichtweite hatte er stets ein ungutes Gefühl und war sehr unkonzentriert. Schon öfter hatte er sich verschossen.
Grimmig fuhr er an den Wegrand und stellte den Motor ab. Heute würde er es mal wieder versuchen. Ohne das monotone Laufen des Motors drückte die Stille unangenehm an seine Ohren. Er lehnte sich hinter den Sitz beugte sich nach seiner Waffe, zog seine Mütze auf und sprang aus dem Jeep. Die Luft war angenehm frisch, sein Atem kondensierte. Das Knallen der Tür hallte unnatürlich laut von den Backsteinwänden wieder.
Er erschrak ein wenig, als in nächster Nähe einige Raben aus den Birken stoben. Unsicher blickte er sich um. Leere Fenster starrten zurück. Die Häuser lauerten im Nebel wie gebückte Raubkatzen. Mit einem Seufzen begann der junge Mann zu summen und Schritt auf den Weg, welcher an den Häusern entlang führte. Zu einem Pfeifen getraute er sich nicht. Aber Summen allerdings verschloss seine Aufmerksamkeit vor den leisen Geräuschen, welche er ab und zu aus den Häusern hörte. Er schallt sich selbst.
Er musste auf die Platten des Weges achten, die von Wurzeln gesprengt und angehoben worden waren. Nach ein paar Metern bog der Weg um die Ecke des Hauses um in einer Treppe zu münden die in die Keller führte. Rothgänger Schritt aber weiter auf die wilde Wiese und dann den sanften Hügel hinab. Zur linken erhoben sich weitere Gebäude, und dahinter erhob sich, im Nebel kaum auszumachen, das Casino.
Er Schritt den leichten Abhang nach unten wo am Waldrand der verwitterte Hochstand auf ihn wartete. Als der Förster Platz genommen hatte holte der die kleine Thermoskanne aus der Jacke und schenkte sich einen starken, heißen Kaffee ein. Der Nebel lichtete sich ganz langsam, sodass er bald die Häuser, zwischen denen er sich seinen Weg gebahnt hatte, gut sehen konnte.
Er wandte sich ab und sah am Saum des Waldes entlang. Ein Rabe schrie in der Ferne.
In den nächsten Stunden sollten diese dunklen Gesellen die einzigen Tiere sein, die er zu Gesicht bekam. Der Blick des Mannes fuhr immer wieder zu den Bauten, sobald er etwas aus seinen Gedanken hochfuhr. Einmal kribbelte eine Gänsehaut über seinen Kopf und dann ertönte ein Lachen.
Er schämte sich, dass ein paar alte Häuser wohl ausreichten um ihn Gespenster hören zu lassen. Aber waren es denn nur Ruinen?
Rothgänger wuchs, wie jeder in der Umgebung, mit den Geschichten der roten Häuser auf. Die Arbeiter Siedlung die nach dem Krieg immer mehr verkam und nach und nach aufgegeben wurde. Ein Fluch laste auf dem Land, hatte seine Urgroßmutter immer betont. Und das auch nur ein Jude dort hatte Fabriken bauen können. Alles weitere was er von der alten Frau zu diesem Thema zu hören bekam waren antisemitische Verwünschungen.
Er schüttelte den Gedanken an seine Urgroßmutter ab. Irgendwie hatte er sich schon immer vor ihr gefürchtet. Stöhnend erhob er sich vom Hochstand und kletterte herunter. Er würde es heute irgendwo anders versuchen müssen. Als er schon auf halben Weg zum Auto war, sah er es. Ein Schatten hinter den schmutzigen Fenstern. Sein Herz setzte einen Schlag lang aus.
Eine alte Frau stand dort in dem Haus. Ihre blinden, milchigen Augen starrten ihn an. Es war seine Urgroßmutter.
Aber sie war doch schon gestorben, als er acht war! Doch sie müsste es sein. Die Frau dort trug die gleichen Ohrstecker, welche sie auch immer getragen hatte. An diese alten, häßlichen Hornstecker konnte er sich gut erinnern.
Er schloss die Augen, atmete tief durch. Das konnte nicht sein.
Als er die Augen wieder öffnete, war die alte Frau vom Fenster zurück getreten und durch den Staub nur noch schemenhaft zu erkennen. Wenn es einfach nur eine verwirrte Seniorin war? Nichts widerstrebte ihm mehr, doch er beschleunigte seinen Schritt und stürmte in den Bau. Die alte Tür war schon vor Jahren aufgebrochen worden. Er durchmaß die düstere Eingangshalle und spurtete die Treppe hoch. Im Ersten Stock stürmte er durch die Tür, hinter der er die Wohnung vermutete.
Im staubigen Flur hielt er inne.
Die Dielen knackten unter seinen Schritten. Staub raubte ihm beinahe den Atem. Er musste ein Husten unterdrücken. Die Tapeten wellten sich und einige bedeckten bereits den Boden. Herab bröckelnder Putz tünchte den Schutt, so dass es aussah als ob feiner Schnee gefallen war. Eine Kommode lag schief im Flur. Rothgänger lauschte. Das Gebäude um ihn herum knackte, doch blieb es das einzige Geräusch.
Seine Schritte knirschten viel zu laut in dem Gang und die Dielenbretter knarrten unter seinem Gewicht, als er den dunklen Korridor betrat. Der Mann hielt auf die Kopfseite des Flurs zu, dort wo er durch die staubigen Fenster den Waldrand sehen konnte. Hier hatte er sie gesehen.
Er bemerkte, dass er sein Gewehr entsichert hatte. Er rang sich zu einen leisen »Hallo?« durch.
Wobei bei kaum mehr als ein heiseres Flüstern seine Lippen verließ. Zaghaft spähte er in den Raum. Uralte, geborstene und vom Putz weiß getünchte Möbel kauerten auf dem Boden. Rothgänger betrat den Raum und sah sich um. Horchte in die Wohnung. Hier war offensichtlich niemand.
Er wand sich um und stieß einen Schrei aus. Dort stand die alte Dame und fixierte ihn mit misstrauischem Blick.
Rothgänger rang nach Atem.
»Sie haben mich aber erschreckt... Darf ich fragen was sie hier machen? Geht es Ihnen gut?« Die Alte zögerte, musterte seine Kleidung und entschied wohl, dass er eine Art Uniform trug. »Junger Mann - ich bin hier aufgewachsen. Ich war schon über 70 Jahre nicht mehr an diesem Ort. Aber irgendwie ließen mich die Häuser niemals los«, sie zwang sich zu einem Lächeln, welches nicht überzeugen konnte.
»Sind sie alleine? Wie sind Sie den hergekommen?«
Irgendetwas stimme nicht. »Ohhhh, hier ist man niemals alleine - Glauben Sie mir. Die sind da, vorhin musste ich mich vor ihnen versteckten...«
Sie lauschte dem Knarzen des Hauses. »Ich denke, die werden uns bald bemerken.«
Der Förster versuchte seinen trockenen Mund zu befeuchten. Dann sah er das Schlüsselband, dass die Alte um den Hals trug. Auf dem eingeschweißten Papier stand in großen Buchstaben etwas geschrieben. Er bat die Frau um das Band und sie reichte es ihm, während sie abwesend die Decke beobachtete und zu lauschen schien. Auf dem Schild prangte die Telefon Nummer eines Pflegeheims sowie die Bitte, falls Frau Junkhans sich verirrt haben sollte, umgehend die Marien Residenz zu kontaktieren.
Rothgänger wählte die Nummer während er die Frau beobachtete, wie sie leise summend aus dem Fenster sah. Es war die gleiche Melodie die er einige Stunden zuvor angestimmt hatte. Fröstelnd wandte er sich dem Flur zu, um zu telefonieren. Als endlich jemand abnahm, gab er durch, dass er Frau Junkhans gefunden habe und es ihr gut gehe.
»Soll das ein schlechter Witz sein oder was? Frau Junkhans ist vor zwei Tagen verstorben - wer immer sie sind unterlassen sie solche Scherze!«, keifte die Stimme am anderen Ende und legte abrupt auf.
Die Alte war verschwunden.
Der Förster stürmte aus dem Haus und in sein Auto. Er würde eine ganze Weile seinen Hochstand nicht mehr besuchen.