Herr Braun liebte Kinder. Deswegen war er Lehrer geworden. Ebenso liebte er sein Alphabet, und zwar jeden einzelnen Buchstaben unter ihnen. Ob Herr Braun einen Lieblingsbuchstaben hatte, blieb bis heute ein Rätsel. Selbst der Direktor der Schule wusste es nicht.
Das A – Z hegte und pflegte Herr Braun wie seinen Augapfel. Jeden morgen vor Schulbeginn überprüfte er genau, ob auch ja alle Buchstaben anwesend und gesund waren. Es folgte ein Frage- und Antwortspiel, das zumeist mit dem ersten Buchstaben im Alphabet, dem A begann.
Herr Braun begann zu fragen:
„A - bist du da?“ „Ja“, antwortete dann das A. „B – ausgetrunken deinen Tee? “ „Nein – bin noch beim C“ verriet das B. „C – heute mal nichts weh?“ „Lieg im Klee“, wisperte das C. „D – wo ist die Fee?“ „Im Wald beim Reh“, erwiderte das D. „E - ist es kalt im See?“ „Frag meinen Zeh“, krächzte das E. Das E war öfters heiser, weil es in so vielen Wörtern des Alphabets vorkam.
Das Frage-Antwort-Spiel endete beim Z, dem letzten Buchstaben im Alphabet. Wirkte einer der Buchstaben noch etwas verschlafen, meist war es das Zett, wischte ihm Herr Braun mit einem feuchten Tuch über die Augen und sagte liebevoll:
„Wach werden, liebes Zett. Wir können doch den Kindern nicht verschlafen unter die Augen treten. Was sollen sie von uns denken. Nur wer ausgeschlafen ist, kann gut lernen.“
Hatte ein Buchstabe etwas an Glanz verloren, was schon mal vorkam, wenn er sehr oft benutzt wurde wie zum Beispiel das bereits erwähnte E oder das A, wienerte ihn Herr Braun einfach wieder blank.
War alles zu seiner Zufriedenheit abgelaufen, klatschte Herr Braun in die Hände und schickte sie auf ihre Plätze. „Ihr wisst, was zu tun ist.“
Alle Buchstaben nickten eifrig und hefteten sich wie Magnete an die Tafel. Von dort pflückte Herr Braun sie ab, wenn er den Kindern Wörter erklärte. Manches Mal machten die Buchstaben auch Faxen, um die Kinder aufzuheitern.
Versteckten sich in Herrn Brauns Bart oder krabbelten ihm in die Ohren. Besonders das I trieb gerne Schabernack. Benutzte Herrn Brauns Nase als Rutsche.
Begannen die Sommerferien, verstaute Herr Braun die sechsundzwanzig Buchstaben des Alphabets in einen Koffer und verreiste mit ihnen. Mal ans Meer. Mal in die Berge. „Genau wie mir tut auch euch ein bisschen Erholung gut“, fand Herr Braun. Seine geliebten Buchstaben sechs Wochen alleine zu lassen, hätte er nicht übers Herz gebracht.
Die Sommerferien waren vorüber. Der erste Schultag im neuen Schuljahr war angebrochen. Zwanzig Erstklässlern galt es wieder, Lesen und Schreiben beizubringen. Herr Braun hatte das Alphabet, das sichtlich erholt wirkte, ausgepackt. Gut hatten sich alle erholt. Nur das W plagte ein leichter Sonnenbrand, weil es so gerne im Wasser plantschte und den Schatten mied. Die Buchstaben nahmen ihren gewohnten Platz an der Tafel ein. Gemeinsam erwarteten sie die neuen ABC-Schützen. Tische und Stühle standen bereit. Lange würde es nicht mehr dauern, bis Leben in die Bude kam.
Wenig später stürmten die Ersten in die Klasse und suchten sich gleich ihre Plätze aus. Packten Hefte und Stifte aus ihren bunten Schulranzen aus. Bereit für das Abenteuer Lernen. Sobald alle Platz genommen hatte, bat Herr Braun um Ruhe. Er stellte sich vor die Klasse, in der Hand eine Liste, und sagte mit einem Lächeln im Gesicht:
„Liebe Kinder, ich bin Herr Braun, bei mir werdet ihr Lesen und Schreiben lernen. Ich habe hier eine Liste mit euren Namen, die ich jetzt der Reihe nach vorlesen werde. Sobald euer Name fällt, stellt euch hin. So kann ich mir eure Gesichter besser einprägen. Aber es gibt auch eine Überraschung. Gebt acht. Alles verstanden, Kinder?“
Die Kinder bejahten.
Herr Braun vertiefte sich dann in die Liste und las den ersten Namen auf der Liste vor.
„Julius .“ Dabei nickte er den Buchstaben an der Tafel unmerklich zu. Ein Junge mit dunklen Haaren und blauen Augen stand auf.
„Du bist also Julius“, sagte Herr Braun freundlich. „Ja“, antwortete der Junge sichtlich aufgeregt.
„Dann wollen wir mal schauen, welche Tiere in deinem Namen stecken“, meinte Herr Braun, „Pass mal auf.“ Er rief die Buchstaben der Reihe nach auf, sprach dabei laut und deutlich.
J - Sogleich sprang das J sprang von der Tafel und verwandelte sich vor den Augen der Kinder in einen Jaguar. U - Aus dem U schlängelte sich ein Uhu, der verschlafen durch die Gegend blinzelte. L – Schaurig das Gebrüll des Löwen, der dem Buchstaben L entwuchs. I - Aus dem I schälte sich ein tapsiger Igel. U –Wieder ein Uhu aus dem U, aber hellwach. S - Zu guter Letzt das S, dass einen momentlang zögerte, bis es sich in einen Säbelzahntiger verwandelte.
Als nächstes buchstabierte er den Namen Kathrin.
K – Eine Katze rieb sich an dem Bein von Herrn Braun und schnurrte. A – Affenkinder tobten durch den Klassenraum T – Ein Tiger – vermutlich aus Bengalen – gähnte und offenbarte sein furchteinflößendes Gebiss mit den mächtigen Reißzähnen. H – Zwerghasen knabberten an dem Hosenbein von Lehrer Braun. R – Rehaugen schauten die Kinder ängstlich an. I – Der Iltis huschte über die Schränke N – Das Nashorn fragte, ob hier Afrika sei.
Herr Braun las nach und nach die Namen der Erstklässler vor. Die Verwandlung der Buchstaben in Tiere ging weiter mit den Namen Lotta, Clara, Kira, Hannah, Max, Yannis, Matteo, Johannes und noch weiteren acht Namen.
Dann klingelte es. Der erste Schultag war zu Ende. Schade. Und alle fanden, Schule machte großen Spaß.
Ein Tipp: Dieses Spiel könnt ihr auch in der Familie, bei Freunden und auf Geburtstagen spielen. Versucht es einmal. Ich bin sicher, ihr habt Spaß dabei.
möge der alte Grieche Alpha Bet nicht so sehr unter der stets neuen Schreibrechtsreform leiden. Seine kleinen nützlichen Kinderlein mag sonst die Lust an Wort und Satz vergehen.
Ja, eine kleine, mit liebenswürdigem Humor erzählte Geschichte.
freut mich, wenn dir meine kleine Geschichte zum Schulanfang gefällt. Würde auch nach Finnland passen, denke ich. Ich hab noch eine auf Lager - geschrieben zur Einschulung meines Enkels vor ein paar Jahren.
Grüße in den hohen Norden von gartenelfe-kalanchoe. Katharina