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Sandig bis steinig ist der breite befahrbare Weg zwischen den Reihenhäusern. Die Kinder, die da hocken, spüren es kaum. Irgendwelche Fahrzeuge sind auch nicht zu befürchten; bloß umdrehen dürfen sie sich nicht. Wer sich umdreht oder lacht, kriegt den Buckel blau gemacht - so werden sie es sich auch noch vorsingen. Auf leisen Sohlen geht inzwischen einer um den Kreis herum. Unbemerkt wird er etwas fallen lassen - irgendein Fetzchen Stoff, zusammengeknüllt, zerdrückt. Jeder, der es mal herumtragen muss, lässt sich daran aus. Vielleicht ist es ein altes Kopftuch. Keiner wird es glattstreichen und betrachten, denn jetzt muss blitzschnell reagiert werden - mitkriegen, dass es hinter einem liegt, aufspringen und es dem wieder andrehen, den man ein paar Längen vor sich hat. Das ist zwar immer noch ein Spielkamerad, aber in dem Moment hat er etwas Befremdliches an sich, ist zum Plumpsack geworden. Er könnte schneller sein als man selbst, sich dahin setzen, wo man einen Platz freigelassen hatte. Dann wird man seine Runden drehen, die Hockenden von hinten betrachten, nach einem schwachen Glied Ausschau halten. Wer könnte infrage kommen. Wer gerade heute, gerade jetzt.
Wo das Fetzchen an diesem Tage mal wieder hergekommen, wer es aufbewahrt und wo - eine nie gestellte Frage. Die Erwachsenen drinnen, die müssen sowas immer wissen. Sie hocken ja auch nicht mehr im Kreis. Ganz allein aber auch nicht. Sie brauchen einander, jetzt, wo sie schon schwerfälliger geworden sind. Bis zu einem Plumpsack ist es aber noch weithin. Der bleibt als Figur unangetast, und in der Dämmerung, wo man manchmal etwas weiter sieht, geht er ja auch nicht mehr um. Da rufen die Mütter ihre Kinder rein.
Auf dem Küchentisch das Abendbrot - alles noch knapp und auf Marken. Auch diese ständige Sorge ist mit drin in dem Ton, mit dem die Mütter rufen, aber es ist etwas anderes als das tägliche gedämpfte, gedrückte Reden - ein bisschen so, als schriee man etwas aus sich heraus. Der jungen Frau in der Dachgeschosswohnung war damals, als sie schwanger, das von der Nachbarin unten zuwider gewesen. Die hatte es raus. Die legte sich in Regina ja regelrecht rein - hoch und spitz in der Mitte, ewig langgezogen am Ende. Männer mochten das vielleicht. Sie dagegen setzt bei Evelin ganz resolut an, dass sich alles gleich verhärtete und die vielen eh, eh, eh sich einstellten - dafür konnte sie nichts. Der Rest dann unbetont und gedankenlos. Und so kommt es bald aus aller Munde. Bei den Kindern draußen auch schon mal - doch so so unbekümmert. So wie von Regina, wenn sie ruft: "Evelin, komm runter! Regenwürmer suchen!" Ach, das schöne Gegacker dann im Stall mit dem alten Kirschbaum mittendrin. "Evelin, komm hoch!", ruft Regina, wenn die gelben Knackkirschen reif.
Der ganze Stolz von Fritze Miethbauer, der wie alle anderen in der Siedlung nie der Eigentümer sein würde, der das auch gar nicht braucht. Nicht wie die junge Frau oben, die etwas von Eigentümern in sich haben musste - so wie sie rief.

Wer von all denen hatte überhaupt noch mitgekriegt, dass mit dem Plumpsack bald nichts mehr los war, nicht mehr durch die goldene Brücke gezogen oder von Hölle bis Himmel im Kästchen gehüpft wurde. Die, die damals weggezogen, standen sowieso nur noch hinter großen Fenstern mit akkurat gerafften Gardinen, stumm Ausschau haltend, ob sich da draußen vielleicht ein Spiel ergab. Es wird schon bald eine Zeit kommen, wo mit Mann und Kindern gespielt werden könnte, unbedingt gespielt werden soll und sie es nicht tut, um keinen Preis. Ja, wenn Evelin in diesem Hause nicht so klänge wie zu Hause, dann vielleicht. Dafür wird es immer herrischer, vorwurfsvoller klingen - als müsse gleich Geständnis und Strafe erfolgen. Die ist ein bisschen überkanditelt, temperiert seine Mutter. In der Stasi-Akte wird es dann auch schriftlich festgehalten: Die R. fügt sich nicht ins Kollektiv ein.
Die Kinder sagen natürlich Mami, was wieder etwas ganz anderes ist. Damit kommen sie immer an, immer durch, daran halten sie sich fest wie an Geboten.
Draußen in der Welt hatten auch wieder alle ihre Masche mit diesem kaum wegzudenkenden, halb verdammten Frauennamen. Mal anders betont, mal leicht abgewandelt, eingehender, auch mal ein Klang der süchtig machen konnte. Er wird zur Gefahr, die zurückschrecken lässt.
Was sollte sie denn nun anfangen damit? Welchen Aspekt zurückbehalten? Oder eher den einen heute, den anderen morgen - wie es sich gerade ergab. Nicht viel anders als beim Spiel. Von dem hatte am ehesten das Fetzchen überdauert - heute dieses, morgen jenes - bar jeder Identität. Und wenn es mit dem Namen nicht viel anders ist, wird sie zwischen Kreis und Plumpsack zu suchen sein. In Kinderhand und der des Plumpsacks. Nicht der eines, sonderns des Plumpsacks, eines Großen. Dem geht es gar nicht darum, was er fallen lässt, sondern wie, wann und wo - auf welche Art. Doch ein Tuch mit ganz feinen Drähten plötzlich - wo käme er denn da hin. Tote Materie bitte, keine belebte!
Es würde begraben werden müssen. Was? Wer? Eins wie das andere. Das hieß - mit ihr das Tuch. Und wenn sie dafür noch nicht tot genug war, musste wenigstens schon die Zustimmung sichergestellt werden von dem, der sie Mami rief. Man konnte ja auch schon mal das Tuch begraben - und so hin und her, bis auch sie langsam daraufkam. Damit war er zu weit gegangen. Das war doch wirklich plump.
War da nicht auch noch ein Gesicht? Kein unbekanntes. Und das lässt übergehen in die Traumwelt. Im Traum war ihm die Zustimmung gegeben worden, doch gleich darauf war auch gekommen: Aber sie lebt ja noch, ist noch nicht tot. Würde sie es denn sein, wenn man das Tuch schon mal eingrub? Als Antwort drauf sitzt derjenige bei ihr im Lehnstuhl, ein paar Schritte entfernt, genau auf alles achtend. Auf halbhohem Tisch eine kleine Figur. War sie aus Porzellan? Hatte sie die Farbe von Holz? Es tat kaum zur Sache - außer, dass es kein unsensibles Ding, es sich sträuben konnte gegen das, was sie vorzunehmen hatte; d.h. ganz behutsam mit dem Waschen von Kopf bis Fuß unbedingt auch bis dahin zu kommen. Als sie durch ist und die Augen aufhebt, ist der im Lehnstuhl eingeschlafen, weggesackt.