Literaturforum - Kurzgeschichten, Erzählungen, Romane, Gedichte - Bücher und eBooks

Mühsam hebt er den Oberkörper vom Bett hoch, auf den rechten Ellenbogen gestützt. Schweiß steht ihm auf der Stirn, Schweiß rinnt ihm den Rücken herunter. Mit der linken Hand fingert er unsicher nach dem Lichtschalter.

Die Finger zittern, der ganze Arm zittert.

Das Licht brennt. Jetzt kommt der Wecker an die Reihe. Dieses Biest, das unermüdlich weiterrappelt. Alfred will ihn greifen. Aber seine schlotternde Hand stößt ihn vom Nachttisch. Auf dem Boden scheppert er noch lauter, wird aber langsamer. Alfred erspart es sich, ihn auszudrücken. Er lässt sich zurückplumpsen, ins weiche, warme Bett. Sofort verfällt er in einen dumpfen Dämmerzustand. Er fühlt sich wie narkotisiert.

Rattattattatt. Das zweite Biest rattert. Gut, das Licht brennt schon. Alfred müht sich nach oben. Mit seinen Wackelfingern trifft er diesmal den Abstellknopf. Jeden Morgen der gleiche Ablauf, jeden Morgen das gleiche Elend.

Alfred geht zum Kühlschrank. Er nimmt eine Flasche Bier heraus, hebelt den Kronkorken ab und geht damit zum Waschbecken. Mit zwei Händen muss er die Flasche halten, um trotz des Zitterns damit zum Mund zu kommen. Unterwegs trinkt er davon zwei Schluck. Sofort wird ihm übel. In dem Moment, als er das Waschbecken erreicht, erbricht er sich. Er spült es weg und trinkt erneut. Wieder Erbrechen – Wegspülen. Noch zwei Schluck. Der Magen krampft. Kotze, raus mit dir. Die nächsten zwei Schluck – Alfred kann den Brechreiz unterdrücken. Ja, o.k. Die bleiben drin.

Jetzt wird‘s besser. Die Übelkeit lässt nach. Die nächsten Schlucke tun gut. Alfred spürt die Wirkung. Er wird ruhiger. Der Kopf wird klarer. Das Zittern lässt nach. Die Bierflasche ist geleert. Jetzt noch einen Wodka. Den riecht man am wenigsten.

Jetzt geht es mir gut, meint er, ich bin gerettet. Unter die Dusche. Wechsel: heiß, kalt. Das belebt. Zähne geputzt. Durchs Haar gekämmt. Rasiererbrummen. Boiler an. Zigarette. Wasser kocht – über‘n Kaffee, viele Löffel Pulver. Noch 'ne Zigarette. Danach ist der Kaffee kalt genug, hinunter damit. Und gleich der nächste aufgegossen. Drei starke Kaffee, drei Zigaretten. Danach isst Alfred zwei Scheiben Brot. Appetit hat er keinen. Aber er muss den Biergeruch wegbekommen. Was im Magen ist das Beste.

Eineinhalb Stunden dauert der ganze Ablauf, bis Alfred halbwegs normal ist und normal aussieht.

Warum dieser Alkohol? Warum kommt er nicht weg davon? Er hatte doch die Chance. Er hatte das Glück. Er bekam den Job, der genau zu ihm passte. Er kann sich einfühlen, er kann sich ausdrücken, kann reden. Und er hat die Erfahrung.

Es war seine Chance. Es war ein neues Leben. Und dann der Rückfall. Nein, Alfred schuldigte niemanden dafür an. Es hatte ihn hart getroffen, das ja. Was war so toll an dem anderen? Zur Flasche gegriffen hatte aber er selbst. Er hatte getrunken. Er war verantwortlich – niemand sonst.

Alfred weiß nicht, wie es weitergehen soll. Er müsste etwas tun, aber er ist ratlos. Wer sollte ihm helfen? Mit Klaus reden, seinem Vorgesetzten? Das wäre richtig, aber das wär das Ende. Bei allem Verständnis, das Klaus hat, er müsst ihn raussetzen – sein Untergang.

Das einzige, das Alfred aufrecht hält, ist die Fassade. Und Alfred hält die Fassade aufrecht – mit der er sich selbst aufrecht hält.

Er muss jetzt los. Um acht Uhr beginnt sein Dienst.

Alfred grübelt noch, als er zum Wagen geht. Automatisch führt er die Verrichtungen durch – starten, losfahren, einfädeln in den Verkehr. Das kurze Stück Autobahn. Seine Situation ist … ist … ja, ist aussichtslos.

AUSSICHTSLOS!

Jemand hupt. Alfred schreckt hoch. Er war wohl nicht gemeint. Aber jetzt fällt ihm ein: Ich habe meine Tavor vergessen. Ohne diese Beruhigungsdragees kommt spätestens um zehn Uhr das Zittern wieder – der große Flattermann. Scheiße. Gib Gas, Alfred. Gib Vollgas!

AUSSICHTSLOS!


Die Patienten der Suchtklinik warten heute vergebens auf ihren Therapeuten. Er ist gegen einen Brückenpfeiler gerast.