Xaver ist der „Matthias Sammer der Kreisliga“. Doch dann bringt ihn die 69. Spielminute ordentlich in die Bredouille… * „Jetzt geben Sie es doch endlich zu!“ Immer und immer wieder hörte Xaver die Worte des dicken Kommissars und starrte dabei auf die grau gestrichenen Wände im Kabinentrakt des Sportplatzes. „Ich war es nicht“, beteuerte er, „glauben Sie mir doch! Sie müssen mir doch glauben!“ Verzweiflung machte sich breit. Dabei hatte der Nachmittag doch so gut begonnen. *** Die Tribünen des örtlichen Fußballplatzes waren gut gefüllt gewesen. Der Kreisligist, für den Xaver bereits die dritte Saison die Fußballschuhe schnürte, erlebte die beste Spielzeit seit langem. Wenn nun noch gegen den direkten Tabellennachbarn ein Sieg gelingen sollte, dann winkte tatsächlich der Aufstieg. „Xaver, Xaver, hier“, tönten die Rufe über den Platz. Mit gutem Grund. Xaver war Dreh- und Angelpunkt der Mannschaft. Viele nannten ihn den „Matthias Sammer der Kreisliga“. Das tat gut. Vor allem nach den vielen Verletzungen der letzten Saison. Aber heuer lief alles rund. Jetzt sollte also auch noch der Aufstieg her. „Foul! Klares Foul!“ Der Schiedsrichter der Partie war Xaver nicht besonders gut gesonnen, wie es schien. Aber der Kicker blieb ruhig wie immer. Er ließ sich auch von offensichtlichen Fehlentscheidungen nicht aus der Bahn werfen – bis zu dieser verhängnisvollen Szene in der 69. Spielminute. „Pass auf den 6er auf, Xaver“, hatte ihn Kurt, der Außenverteidiger, noch gewarnt. „Der legt es drauf an, dich zu provozieren!“ Und tatsächlich. Beim nächsten Zweikampf zischte ihm der Mann zu: „Deine Frau geht ja ab wie eine Rakete!“ Das ging Xaver durch Mark und Bein. „Hör auf mit dem Scheiß“, feixte er zurück. Doch der Rübenwalder Toni, so hieß der Star der gegnerischen Mannschaft, dachte gar nicht dran. „Weiß doch jeder, dass die Anita leichte Beute ist. Das Hüttenwochenende des Kirchenchors war für sie und mich dann die ideale Gelegenheit…“ Das war selbst Xaver zu viel. Er stieß Rübenwalder zu Boden. Dabei entkam ihm noch ein „Ich bringe dich um, du Schwein!“ Und Minuten später fand er sich nach der ersten roten Karte seiner Karriere alleine unter der Dusche wieder. *** „Was haben Sie nach dem Ausschluss gemacht, Herr Oberkircher?“ Die rauchige Stimme des Kommissars riss Xaver wieder aus seinen Gedanken. „Ich bin herumgefahren. War fertig mit meiner Welt. Keine Ahnung, wo ich war.“ „Und wann ist Ihnen dann aufgefallen, dass Sie die Sporttasche vergessen haben?“ Xaver schüttelte den Kopf. „Woher soll ich das wissen?! Irgendwann halt.“ Als er den Kabinentrakt betreten hatte, um seine Tasche zu holen, war ihm gleich irgendwas komisch vorgekommen. Und da lag er. Mitten auf dem Gang. Toni Rübenwalder, erstochen mit einem Küchenmesser. „Herr Oberkircher, als wir hier eingetroffen sind, knieten Sie über dem Leichnam und hatten das Messer in der Hand, auf dem sonst keine Fingerabdrücke sind. Sie hatten also ein Motiv, die Gelegenheit und die Tatwaffe – und zu allem Überfluss nicht einmal den Hauch eines Alibis. Ich denke, Sie sollten einen Anwalt anrufen.“ Xaver wusste, dass der Kommissar recht hatte. In dem Moment schaute Schiedsrichter Heiner Hofleitner bei der Türe des Garderobenraumes herein. „Werden Sie mich noch brauchen, Herr Inspektor?“ Xaver blickte kurz auf, musterte den hageren Mann mit dem zarten Oberlippenbärtchen, der immer noch sein Schiedsrichtergewand trug. Die rote Karte – Xavers rote Karte – schaute bei der Brusttasche heraus. Xaver war den Tränen nahe. „Nein, danke. Sie können dann gehen“, schickte der Kommissar Hofleitner davon. *** Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Frank kannte Xaver seit seiner Kindheit. „Bitte denk’ noch mal nach, Junge“, redete er unentwegt auf ihn ein. Er war gleich zum Sportplatz geeilt, als ihn Xavers Mutter angerufen hatte. Xaver saß wie ein Häuflein Elend hier in der Kabine. „Komm, Xaver. Die entscheidenden Mosaiksteinchen zur Lösung eines Falles sind oft nach ein paar Stunden nicht mehr zu finden!“ Dr. Frank war ein erfahrener Jurist und einer der besten Strafverteidiger der Region. Es war ihm klar, dass die Zeit drängte. „Du musst einfach jede Kleinigkeit durchgehen. Beginnen wir noch einmal von vorne. Eigentlich hat das Ganze ja mit der Provokation durch Rübenwalder begonnen…“, ermunterte Dr. Frank Xaver wieder. „Ja, der Toni war ein Weiberheld. Ich weiß auch nicht, ob der wirklich was mit meiner Anita hatte. Ich darf momentan ja nicht mit ihr reden. Aber Affären wurden ihm schon unzählige nachgesagt. Letzten Sommer erst – da hieß es, er würde mit Claudia…..“ Xaver stockte der Atem. Er überlegte kurz. Dann erhellte sich sein Gesicht. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Das erste Lächeln seit dieser verhängnisvollen 69. Minute. „Herr Doktor, Herr Doktor…das ist es! Lassen Sie uns sofort mit dem Kommissar reden. Ich weiß jetzt, wer den Toni erstochen hat. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät, es auch zu beweisen!“ *** Als Xaver zwei Stunden später den Sportplatz verließ, konnte er es selbst nicht glauben. „Das war wirklich in letzter Sekunde“, war auch Dr. Frank erleichtert. „Aber jetzt sag’ mal, wie ist dir das plötzlich eingefallen?“ „Ich habe einfach vorher nicht dran gedacht. Aber dann wurde mir klar, dass der Toni letzten Sommer ja angeblich eine Affäre mit Claudia Hofleitner, der Frau des Schiedsrichters, hatte. Und dann gab eines das andere. Ich sah die rote Karte vor meinem geistigen Auge – und auch, dass später in der Kabine eine Ecke dran fehlte. Und da wusste ich plötzlich, was dieses kleine Stückchen rote Papier war, das am Tatort gefunden wurde. Heiner Hofleitner hat den Toni aus Rache für die Affäre mit seiner Frau umgebracht und zum Glück die kaputte rote Karte noch nicht entsorgt gehabt.“ „Ein immens wichtiger Erfolg in der Nachspielzeit“, lächelte Dr. Frank Xaver zum Abschied an. Doch das hörte der schon gar nicht mehr, stand doch seine Anita vor ihm. Und das war für ihn jetzt der wichtigste Sieg…
Hallo Thomas, ja, ja, immer auf die Schiedsrichter ;-) Was bei den Reichen und Schönen der Gärtner ist - nämlich immer der Mörder - das ist im Fußballmilieu der Schiri. Ich finde den Text lebendig geschrieben und gut lesbar. Er erinnerte mich an die kleinen Krimis in den Frauenzeitschriften, denen man dort ein paar Spalten Platz zubilligt. Da ist es naturgemäß schwierig, Spannung rein zu bringen. Bin auf jeden Fall auf den nächsten gespannt. Gruß Ringelroth
Schreiben ist einfach. Man muss nur die falschen Wörter weglassen (Mark Twain)