Sie trug einen Faltenrock. So einen hat Ise auch, dachte Josef, hängt vermutlich immer noch herum, irgendwo im Schrank, vielleicht unter dem Lodenmantel. Auch solch ein Erinnerungsfetzen, muss alles weg, dachte er und ärgerte sich. Hätte längst schon geschehen können, es war, wie es war, und Ende. Keine Bedürfnisse mehr, es war gut so. Er nahm einen Schluck aus seinem Bierglas, Schaum blieb an der Oberlippe, er wischte ihn weg, trank noch einmal. Sein Mund war trocken, die Luft auf der Insel stand. Dann fiel ihm ein, dass Kerstin entsorgt hatte. Gut. Eine Tochter sollte so was für ihren Vater machen.
Josef sah der Frau in dem Rock nach. Ises Jahrgang. Ungefähr. Sehr gepflegte Erscheinung. Nettes altes braves Mädchen, dachte er, offensichtlich keine Gier mehr. Die Frau hatte sich bei einem Mann unter geharkt, dessen Strohhut ihm gefiel. Hat sie vermutlich für ihn ausgesucht, dachte er, Männer finden nie das Richtige. Dieser Hut sah nicht so affig aus wie der aus dem Souvenirladen, den er zur Probe mal aufgesetzt hatte. Ein kurzer Blick in den Spiegel, lachhaft, ein Greis mit einem billigen Ding auf dem Kopf starrte ihn an. „Nein, bloß nicht.“ Er setzte ihn wieder ab, da war ein Anker auf der Krempe, scheußlich. Der Verkäufer zuckte mit den Schultern. „Na dann. Steht Ihnen aber.“ „Sicher doch.“ Er hatte das Geschäft rasch verlassen, dumm eigentlich, die Modellbauschiffe hätte er sich gern näher angesehen. Schräg gegenüber war der kleine Biergarten. Kobold. Alberner Name, dachte er, da geht man eher nicht hin, überall die winzigen grauen Steine, die in den Sandalen stecken bleiben, da nützen keine Socken, die vermiesen einem alles. Drei Tische waren noch frei, er wählte den, von dem aus er die Fußgänger beobachten konnte. Der Himmel war wolkenlos, die Hitze arbeitete, da gab es immer was zu gucken.
Während er auf Erika wartete, konzentrierte Josef sich auf die Halbnackten und auf die Alten. Die Hunde interessierten ihn auch. Die müdesten mit ihren grauen Schnauzen gehörten den Ältesten, so war das richtig, da bleibt die Antwort auf die Frage offen, wer nun wen wohl überlebt. Korrektes Spiel, dachte Josef, trank sein Bier aus, winkte der Kellnerin, tippte mit dem Zeigefinger an das leere Glas. Sie lächelte und nickte. Hübsches Kind, fast wie meine Ise, damals, dachte er und lächelte auch. Wäre sie nicht so jung, wirklich jung, könnte er mit ihr ein Eis essen gehen, vielleicht war sie in zwei, drei Stunden frei. Es war erst früher Nachmittag, sie war seit neun Uhr auf den Beinen, er wusste das, sie hatten sich gegrüßt, als er am Kobold vorbei geschlendert war, um zu sehen, welches Lokal Erika für ihr letztes Treffen vorgeschlagen hatte. Die Sonnenschirme waren am Morgen noch nicht aufgespannt, sie wischte über die Tischplatten und winkte ihm mit dem Tuch zu. Er winkte mit der Zeitung zurück, die er zusammengerollt hatte, vielleicht tatsächlich, um winken zu können, wenn jemand wie sie ihm begegnen würde.
Nach Feierabend würde sie die Schürze ablegen, die Haarspange lösen und ihre flachen Baumwollschuhe gegen Sandaletten mit spitzen Absätzen tauschen. Dann würde sie ihre Lippen nachziehen und ihm sagen, wo es das beste Eis auf der Insel gäbe. Wir gehen ganz langsam Richtung Strandpromenade, wir haben Zeit, dachte er, der Sonnenuntergang würde um zwanzig vor zehn sein, und er müsste sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie er sie wieder loswerden konnte. Erika war bereits ein abgeschlossenes Kapitel, alles stand fest, ihr blieb noch der ganze lange Abend. Nicht der längste, dachte er streng, aber das ist nur fair, es erschöpft mich.
Seine kleine Taube, wie er sie impulsiv getauft hatte, sah ihn fragend an, als sie ihm sein zweites Bier hin stellte und er nur seufzte, ohne ein Wort zu sagen. „Setzt aber auch zu, die Hitze. Ansonsten alles in Ordnung?“ „Alles gut.“ Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, das sah perfekt aus. Er lächelte. Heute zum tatsächlich zweiten Mal, es war richtig. „Sie sind sehr freundlich, Fräulein.“ Sie nickte, wirkte irritiert. Sagte man auch gar nicht mehr. Fräulein. Wie gedankenlos von ihm. Josef senkte den Blick. Es nützte nichts. Eigentlich. Kerstin dürfte älter sein. So ein Unsinn. Er war verabredet. Mit Erika.
Die beiden sehen aus wie tausend Jahre verheiratet, dachte er, sah, wie die Frau in dem Faltenrock mit dem Mann an ihrer Seite in eine Nebengasse einbog und aus seinem Blickfeld verschwand. Er seufzte, kurz nur, Erika würde gleich kommen, er war zu früh. Sie würde sich vermutlich verspäten, er könnte auf die Schnelle sein zweites Bier trinken, seine kleine Taube würde ihm ein drittes bringen, und Erika dürfte das nichts angehen. Ise hatte immer gern eins mit getrunken. Eine Frau, die auch Bier mag, ist praktisch, dachte er, die meckert weniger, die lacht mehr.
Im letzten Frühjahr noch. Da hatten sie gemeinsam gelacht, bestimmt hatten sie, über irgend was eben, so genau konnte er sich nicht erinnern, aber sicher war das. Dann war sie erneut krank geworden, nicht so wie irgendwann mal, da ist man krank und dann auch wieder normal gesund, ganz einfach. Meinetwegen halbwegs gesund, dachte er, das geht, das ist allemal besser als tot. Aber weniger als halbwegs, das ist schlecht, das ist hart, da ist tot doch vernünftiger. Am Ende hatte er sich erleichtert gefühlt, weil ihr Bedürfnis ihm längst schon fremd geworden war. Erstaunlich, wie sie noch gierte, so krank, so schwach, so unerbittlich in ihren Versuchen, ihm Rosenduft in die Nase steigen zu lassen. So sollte es nicht riechen, dachte er, so lernt man, sich zu hassen.
Marianne Hebestatt war nun auch schon eine Weile tot. Wie sie dort gehangen hatte, kopfüber im Abwaschbecken, dieses Bild, das konnte man im Nachhinein noch bemängeln, wer will denn auf solch eine Art ertrinken. Die Beine waren ihr weg geknickt, sie stand dort in Schieflage mit herunter hängenden Armen, das Gesicht im Wasser, die Bluse verrutscht, dann fiel sie zur Seite und verlor dabei einen Schuh. Da lag sie nun auf dem PVC neben der Spüle, guckte fassungslos, wie Josef dachte, und hätte es vermutlich bedauert, ihn so übermütig betutteln zu wollen. Die Bluse stopfte er zurück in den Rockbund, den Schuh zog er ihr auch an, das sah ordentlicher aus. Am Kopf konnte er nichts machen, die Frisur war hinüber, die Schminke verlaufen, sie hatte sich Mühe gegeben, schön für ihn zu sein. Sie war älter als Ise. Aber gesünder. Das war nicht falsch. Falsch war es, ihm ihr lästiges Anliegen mit zu teilen. Das ging nicht.
Josef hielt nicht viel von Nachbarschaft, die gepflegt werden darf, aber in Gottes Namen nicht muss. Ise und Marianne, die hatten sich verstanden, wie Frauen sich verstehen. Er wünschte solche Nähe nicht, die einen den Gestank des Alters teilen lässt, auch wenn es zusätzlich nach Vanille hinter den Ohren riecht, zwecklos. Das hätte die Hebestatt wissen müssen, da lädt man den Mann von gegenüber doch nicht noch zum Kaffee ein, wenn alles so klar ist. Auch dann nicht, wenn es zum Kaffee noch Likör und eine tief ausgeschnittene Bluse gibt, die Lächerliches auf Laken verspricht.
Abgesoffen im Abwaschbecken, unschön irgendwie, passiert halt schon mal, mit achtzig muckt vielleicht das Herz in den ungünstigsten Momenten auf, oder man schwächelt einfach so, da wird einem schwarz vor Augen und man kippt kopfüber weg und ertrinkt. Das sahen die freundlichen Leute vom Rettungswagen auch so, die er aber erst nach einem weiteren Schnäpschen angerufen hatte, weil keine Eile geboten war und weil Mariannes Likör, der tatsächlich Schnaps war, ihm schmeckte. Das war so einer, nach dem man sich kräftig schütteln muss, und dann verteilt sich das gute Zeug im ganzen Körper, herrlich.
So ein Tröpfchen wäre jetzt was, dachte Josef, während er sich in seinem Stuhl zurück lehnte und in die Sonne blinzelte, um sich davon zu überzeugen, dass er wahrhaftig in diesem Moment auf der Insel in der Sonne saß, dort, wo man gern sitzt. Wohl fühlen kann man sich hier, dachte er, ein Schnaps wäre jetzt nett, warum denn nicht, gleich eine Flasche hatte er sich gegönnt, nachdem dieser Polizist auf der Wache auch so überaus freundlich zu ihm gewesen war, nach der Geschichte mit der Marianne. „Für das Protokoll, Routine, keine Sorge. Sie waren zu Gast bei Frau Hebestatt?“ „Auf ihrer Toilette war ich. Als die Marianne dahin schied, war ich auf dem Clo. Da verschwindet man kurz, und schon ist jemand gestorben. Kommen Sie mal in mein Alter, Herr Kommissar. Dreiundachtzig bin ich. Ich könnte jetzt auch so aus den Schuhen kippen, da würde Sie dumm staunen.“ „Machen Sie mir bloß keinen Unsinn.“ „Will ich wohl meinen.“ „Sie kannten sich gut? “ „Könnte ich leugnen. Nach Ises Tod hat die mich ein paar Mal eingeladen, Hühnersuppe, Leberknödel Pudding. Gut gekannt, was heißt das schon?“ „So gekannt, wie Sie Frau Körner kannten?“ „Constanze. Freundin von Ise. Die lebt auch nicht mehr.“ „Genickbruch nach einem Treppensturz vor zwei Monaten. Sie waren dabei.“ „Kann ich nur bestätigen. Das war im Altenheim.“ „Seniorenheim Elisabeth.“ „Auch schön.“ Wo ist der Unterschied, dachte Josef, klingt beides nach Zimmermann. „Sie wurden zum Unfallhergang befragt.“ „Das verüble ich nicht. Es gibt Leute, die schubsen einen, da muss man nach haken.“ „Sie aber wohl nicht.“ „Wohl wahr.“ „Das war sicher schockierend für Sie. Und nun das.“ Schockieren würde dich etwas ganz anderes, dachte Josef, riech mal, da sind keine Rosen, die dich erwarten. „Pech ist das, eindeutig.“ Jetzt willst du gern wissen, ob ich mit der Hebestatt und der Körner im Bett war, dachte Josef, und du fragst dich, wie wir uns dabei anstellen und ob das überhaupt noch so normal geht, und irgendwie findest du das schäbig, aber das würdest du nicht zugeben. „Hat Frau Hebestatt denn vorher über Unwohlsein gesprochen?“ „Nur über ihren Schrebergarten. Ihren Zaun sollte ich streichen. Bücken geht gar nicht.“ „Was war dann?“ „Dann war ich auf dem Klo. Das hat gedauert.“ „Wie lange ungefähr?“ „Bis sie tot war doch wohl.“ „Schon richtig. Und dann?“ „Dann habe noch einen Schnaps getrunken und angerufen.“ „In der Reihenfolge?“ „Selbstredend. Was hätten Sie denn gemacht?“ „Tja.“ Das hatte der tatsächlich gesagt. Grundsätzlich war das eine vernünftige Antwort. Fand Josef auch jetzt im Nachhinein noch und streichelte die Katze, die sich unter den Tisch verirrt hatte und sich an seinen Beinen rieb. Sie ließ es geschehen, verschwand wieder. Grußlos, dachte Josef, grundsätzlich unhöflich, aber die macht keine Umstände, man begegnet sich und verliert sich wieder.
Die kleine Taube bediente am Nebentisch, er bestellte einen Klaren und errötete leicht, Schulbub, du, dachte er, das ist doch nicht Kerstin, die ihrem Vater sein Stückchen Lebensfreude nicht gönnt. Aus Besorgnis um ihn, natürlich. Er sah sie direkt neben sich stehen, sie sprach immer so schrill, keine angenehme Stimme, dafür konnte sie ja nun nichts. „Denk an deine Gesundheit, Papa. Kein Schnaps.“ „Einer geht.“ „Keiner geht auch.“ „Dann rutsch mir doch den Buckel runter, zwei gehen noch besser.“ „Du hörst einfach nicht.“ „Zwei. Auf einem Bein steht man schlecht.“
Erika war immer noch nicht zu sehen. „Ein Kurzer zum Wohl.“ „Auf Ihr Wohl, schöne Frau.“ Die kleine Taube zwinkerte ihm zu. Josef fühlte sich gut, es war angenehm, wie es war, da konnte man übermütig werden. Dachte er noch, als ihm jemand auf die Schulter tippte. „Ach, Erika, du.“ „Tag, Josef. Ich war noch im Laden. Furchtbar voll da, so viel Zeug. Wartest du lange?“ „Unwichtig. Ist doch nett hier.“ „Die Forelle essen wir aber in der Strandbar. Recht so, Josef?“ Natürlich, dachte er, und dann wird getan, was sein muss. Sie küsste ihn auf den Mund, er musterte sie flüchtig, grundsätzlich war es ihm egal, aber sie hatte sich heraus geputzt, das freute ihn ein wenig. Immerhin hatte auch er sich die Zeit genommen, um vernünftig aus zu sehen. Die helle Hose war sommerlich und flott, wie Ise gesagt hätte, dazu passte das kurzärmelige Hemd, gut luftig war das. Erika trug einen getupften Rock. Keine Falten. Ihre Lippen waren angemalt, dezent, Altrosa fand seine Zustimmung, Ises Farbe war das, nicht ganz, aber so ähnlich. Sie roch nach Moschus, er fand das unangemessen, Moschus ist was für den Winter, dachte er, das sollte die wissen.
Josef überlegte, was es zu sagen gäbe. Prinzipiell nichts, da war nichts von Bedeutung, es war Sommer, sie waren auf der Insel, sie hatten sich vor einer Woche beim Frühstück im Café am Theaterplatz kennen gelernt. Er war hingegangen, weil dort ein Seemannschor singen sollte. Kein echter, fand er, da gab es Besseres. „Die sind irgendwie übel.“ Er wandte sich der nächstbesten Person zu, die am Nachbartisch saß, um sich gemeinsam ärgern zu können, unwichtig, wer genau sich da mit ärgern sollte. Eine Witwe aus Oberhausen, die gern allein reiste, aber lieber zu zweit spazieren ging, und die Asthma hatte. Grund genug für sie, ohne Begleitung an einem hübschen Ort mit guter Luft zu sein, um einen Heinz, Peter oder eben Josef kennen lernen zu können. Grund für ihn, zufrieden zu sein, es gab hier keinen weiteren Menschen, der ihm lästig werden wollte. Diese eine Erika genügte. Die war schon zu viel für seinen Kopf, der malte ihre unerträglichen Bitten, er schüttelte sich, ein scheußliches Bild.
Etwas leid tat es ihm schon um die Erika, die warf den Kopf in den Nacken, wenn sie lachte, so richtig lachte, das konnte die, das hat Ise auch gemacht, dachte er, die hat dabei auch noch gegluckst. Das wird eben nichts mit der, dachte Josef, nachdem er bezahlt hatte und mit Erika an seiner Seite den Biergarten vom Kobold verließ, nicht, ohne sich noch einmal um zu schauen, ob die kleine Taube ihm nachsehen würde.
Sex mit Erika in ihrer Pension, wo keiner was sagte, als er abends nach der Forelle mit hinauf ging, wo ein jüngeres Paar nur so vor sich hin schmunzelte, was er zu bemerken glaubte und was ihn aufregte, er war schließlich kein Piefke in kurzer Buxe, der endlich mal will, wäre für Josef unerfreulich geworden. Das sah er sofort, es erleichterte ihm seine einzige wirkliche Entscheidung, nichts mehr anders entscheiden zu müssen. Alles war unbequem und ungemütlich, völlig fremd eben, Feierabend, dachte Josef, das wird nichts Vernünftiges mehr, da spukten die Hebestatt aus der Nachbarwohnung und diese Constanze aus dem Seniorenheim herum und spielten mit seiner Prostata. Da hat man auch keine große Lust, die Socken und das Unterhemd aus zu ziehen, wenn das so langsam geht und man schon friert, bevor was passiert. Was passiert? Und unbarmherzig zeigt der Spiegel die Schändung der Toren.
Die kleine Taube war bekümmert. So sieht sie aus, die Gute, wenn sie ganz bekümmert ist, dachte Josef, dankte für das Bier und freute sich über den Kurzen, den sie ihm hin stellte, ohne, dass er ihn bestellt hatte. Dann wischte sie sich die Hände an der Schürze ab und setzte sich zu ihm. Es war kurz vor Mittag, sie nahm sich eine kleine Auszeit, immerhin galt es, wichtige Worte zu finden, die warm sein sollten. „Darf ich? Geht aufs Haus.“ Sie griff nach seiner Hand, drückte sie, zündete sich eine Zigarette an, inhalierte tief, seufzte. Wie sie das tat, rührte ihn ein wenig, ihre Stirn wurde dabei faltig und die Augen sahen müde aus. Die ist doch älter, so jung nun auch wieder nicht, da um die Lippen kräuselt sich die Haut, ist ja nicht schlimm, weiß Gott nicht schlimm, dachte er und liebte ihre Jahre. „Schrecklich, so was. Sie passten irgendwie nett zusammen, Sie zwei. Schade. Richtig nett.“ „So nett nun aber nicht.“ „Na trotzdem. Sagen Sie doch so was nicht.“ Sage ich aber doch, dachte Josef, wir sind nicht nett, wir sind tot. Constanze Körner fiel ihm erneut ein, jetzt aber weg mit der, dachte Josef, die jetzt nicht auch noch. Was wollte die Erika auch unbedingt mit ihm ins Bett, er war über achtzig, da muss man das nicht machen, da kann man sagen, dass man sich auch wirklich sowieso gar nicht mehr treffen möchte, weil das alles einfach nicht stimmt, weil so gar nichts mehr stimmt. Die kapieren nicht, dachte Josef, und was wollte die Marianne auch unbedingt abwaschen, unmöglich, so was, er sitzt da in ihrer Küche vor seinem Schnapslikör, und die dreht ihm den Hintern zu und packt das Kaffeegeschirr in die Spüle. Und wundert sich dann wohl, dass ihr ganz schwindelig wird, während er auf der Toilette sitzt und sich auch wundert, weil da keine Zeitung liegt. Und sich noch mehr wundert, wie viel Kraft man noch hat. Selbst schuld, hätte sitzen bleiben können, dann wäre ich noch vor dem Schnaps gegangen, weil mein Bedürfnis nicht ihres war, und man hätte sich weiter beim Bäcker gegrüßt, aber das wäre es gewesen, dann wäre sie auch nicht abgesoffen. Ähnlich oder zumindest ungefähr so hatte das der freundliche Polizist wohl auch verstanden, dem gefiel meine Version, dachte Josef, die klingt auch ordentlich, die Szene mit dem Kopf, der im Abwaschwasser hängt, und niemand kann das ändern. „Was meinte der Arzt?“ „Polizei war auch da.“ „Was meinte die?“ „Was die so meinen. Nichts.“ „Nichts?“ „Stellen Sie sich das Übliche vor. Man steht unter Verdacht, am Ende lachen alle. Der ohne Zähne lacht, der bin ich.“ „Furchtbar, wie Sie das sagen.“ „Furchtbar. Dieses Röcheln. Schon bei der Forelle. Das wurde noch furchtbarer, als wir auf ihrem Zimmer in dieser Pension waren, um nach dem Asthmaspray zu gucken. Nicht so schön, die Zimmer da.“ „Sie mussten danach gucken? So was hat man doch bei sich.“ „Wir sind alt und dumm, Teuerste.“ Wieder solch ein verstaubtes Wort, dachte Josef, ich bin dein Urgroßvater, mein Kind, und du weißt es nicht. Sie schüttelte den Kopf, seufzte erneut, sah auf die Uhr, strich ihm mit der Fingerkuppe über die Wange. „Nicht doch.“ „Doch. Und es war zu spät, so war das eben. Sie hat sich hingelegt aufs Bett, da war ein großes Kissen, daneben lag sie, nicht darauf, und da war sie auch schon tot.“ „Erstickt. Große Güte.“ „Und das Herz, das sowieso.“ Erstickt ist aber deutlich korrekter, dachte Josef, dachte zum dritten Mal auf der Insel an Constanze Körner, die eine andere Geschichte war, die nach Hause auf den Friedhof gehörte, wo jeder seine eigenen Würmer tauft, und war zufrieden, dass seine Entscheidungen nach Ises Tod ihm immer noch gefielen.
Die kleine Taube gab ihrem Kollegen ein Zeichen, stand auf, sah ihn an, wusste wohl nicht so recht, was jetzt zu sagen notwendig war. „Ich muss wieder. Sie kommen klar?“ „Forellen haben Sie auch?“ Die kleine Taube lachte kurz, das war recht gut. „Die kriegt man überall auf der Insel. Wollen Sie denn eine?“ „Hatte ich gestern. Reicht mir. Bringen Sie mir doch bitte noch etwas.“ „Bier und einen Kurzen. Kommt.“ Sie nickte, er nickte, es war geschafft. Am Nebentisch nahm die Frau vom Vortag Platz, ihr Mann war noch nicht zu sehen, sie trug ein gelbes Strandkleid. So eins hat Ise auch, dachte Josef, was für eine Verschwendung. Er wartete auf die kleine Taube, er würde sich betrinken, ihren Nacken küssen und ihre Schönheit riechen. Josef blinzelte in die Sonne, da war Wasser in seinen Augen, das sich beeilen wollte. Du nicht, dachte er, meine Meinung will dich nicht. Und er lächelte, ohne sich vorher gefragt zu haben.
mich hat Josefs Meinung interessiert, deswegen hab ich mich etwas mit dem Text auseinandergesetzt. Der Einstieg war etwas langatmig, ich habe nicht so recht verstanden, worum es geht und wer dieser Mann ist. Er schaut sich die Leute an, verguckt sich bisschen in die Kellnerin und erinnert sich stückchenweise. Vielleicht wäre es besser, wenn du schon am Anfang ein paar Andeutungen machst, was er getan hat. Ich fand gut, wie du beim Gespräch mit dem Polizisten Informationen über den Mann raussickern lässt. Den Alt-Herren-Humor hast du auch gut getroffen. Ich habe mich bis jetzt nicht so oft daran gewagt, aus der Sicht des anderen Geschlechts zu schreiben. Dir ist es hier aber gut gelungen, einen alten Mann in seiner Gedankenwelt darzustellen. Die Auflösung des Mordes passt ebenfalls zum Charakter. Für ihn es es natürlich, was er getan hat. Diesen psychopathischen und kaltblütigen Ansatz könntest du vielleicht ausarbeiten. Vielleicht in irgendwelchen unterschwelligen Aggressionen in seinen Gedanken. Was man rauslesen kann, ist nur Frust und Unverständnis.
Mir sind ein paar Stellen positiv und negativ aufgefallen:
„Nicht der längste, dachte er streng, aber das ist nur fair, es erschöpft mich.“ – Der Wechsel der Person irritierte mich hier. Vielleicht war es aber auch deine Absicht.
„dachte er“ – du schreibst diesen Zusatz sehr oft. Das kam mir überflüssig vor, da es sowieso klar ist, dass er das alles denkt. An manchen stellen kommt es sogar zweimal vor im Satz.
„So sollte es nicht riechen, dachte er, so lernt man, sich zu hassen.“ – Der Satz gefällt mir sehr. Die Direktheit und Klarheit schlägt ins Gesicht.
„Auch dann nicht, wenn es zum Kaffee noch Likör und eine tief ausgeschnittene Bluse gibt, die Lächerliches auf Laken verspricht.“ – Auch hier ein sehr direkter und pointierter Satz.
Clo – an einer Stelle schreibst du Klo mit c, an anderer mit k.
„Immerhin hatte auch er sich die Zeit genommen, um vernünftig aus zu sehen.“ – Ich glaube, hier muss es auszusehen heißen.
„Eine Witwe aus Oberhausen, die gern allein reiste, aber lieber zu zweit spazieren ging, und die Asthma hatte.“ – Wieder ein wunderbarer Satz, der mit einem Parallelismus einen großen Subtext nach sich zieht.
„ohne sich noch einmal um zu schauen, ob die kleine Taube ihm nachsehen würde.“ – Hier wäre umzuschauen glaub ich richtig.
„Da hat man auch keine große Lust, die Socken und das Unterhemd aus zu ziehen, wenn das so langsam geht und man schon friert, bevor was passiert.“ – Wieder der gute Humor aber auszuziehen muss meiner Meinung nach zusammen sein.
„Und unbarmherzig zeigt der Spiegel die Schändung der Toren.“ – Du meinst wahrscheinlich Toten.
„ … weiß Gott nicht schlimm, dachte er und liebte ihre Jahre.“ – Hier gefällt mir die Poesie des Satzes. Du setzt sie im gesamten Text sehr sparsam aber effektiv ein.
„Und wundert sich dann wohl, dass ihr ganz schwindelig wird, während er auf der Toilette sitzt und sich auch wundert, weil da keine Zeitung liegt.“ – Der Satz gefällt mir weniger. Die Wiederholung von „wundern“ ist hier wohl ein Stilmittel, weil es auch im nächsten Satz vorkommt, aber für mich klingt es ungeschickt.
„Josef blinzelte in die Sonne, da war Wasser in seinen Augen, das sich beeilen wollte. Du nicht, dachte er, meine Meinung will dich nicht. Und er lächelte, ohne sich vorher gefragt zu haben.“ – Hier kommt wieder vorsichtig die Poesie ans Tageslicht. Der erste Satz gefällt mir besser, als die Folgenden zwei. Aber alle drei bringen das Wesen des Mannes noch einmal auf den Punkt. Er will sich seine Gefühle nicht eingestehen und schafft es doch nicht. Das macht ihn menschlicher, verständlicher für den Leser.
Ich hoffe, du kannst etwas mit meinem Kommentar anfangen.
Du hast Dir gut Zeit für J.M. genommen, Koolook, Danke für die Aufmerksamkeit.
Zur Grammatik: Mit umzuschauen und auszuziehen liegst Du korrekt, Treffer.
Zum Inhalt: Du fragst Dich zu Beginn, wie Du sagst, wer dieser Mann, Josef, eigentlich ist und meinst, Andeutungen darüber, was er getan hat, recht Unschönes eben, wären sinnvoll. - Warum? Damit vereinfachst Du dem Leser seinen Weg, du schenkst ihm ein Moped, zumindest ein Fahrrad. Er soll aber zu Fuß gehen, sich getrost bei den Anhöhen anstrengen und schnaufen. Ob seine Mühen sich lohnen oder nicht, zeigt sich immer, kommt auf den Autor an. Josefs Gedanken, Koolook, haben keine aggressiven Wurzeln, er ist auch nicht kaltblütig in seinem Denken und Handeln. Psychopath? Darüber könnte man sprechen, aber da müssten die feinen bestimmten Nuancen definiert werden. Wann ist wer wie und warum psychopathisch? Komplexes Thema. - Josef ist freilich auch nur sehr bedingt frustriert, unverständlich?, wohl eher nicht. Enttäuscht, unzufrieden, traurig ist er. Besser wohl: So sollte er eher 'rüberkommen. Ansonsten: dachte er... taucht in der Erzählung natürlich nicht ohne Sinn gehäuft auf, und es heißt tatsächlich "Schändung der Toren...", nicht Toten. Das wäre eher fragwürdig im Kontext, hm?!
Ins Grübeln hast Du mich aber mit Clo und Klo gebracht, da muss ist nachdenken.
nach wie vor finde ich Freude an deinen kurzen Sätzen - sie erleichtern das Lesen und das Verstehen -lassen einem Zeit um durchzuatmen.
Dann fiel ihm ein, dass Kerstin entsorgt hatte Spendiere deinem Satz noch ein "ihn".
Eine Tochter sollte so was für ihren Vater machen. Ich mag zwar deine am Alltag angelehnte Sprache, aber hier würde ich lieber "so etwas" lesen
Josef sah der Frau in dem Rock nach. Hier würde ich das "im" dem "in dem" vorziehen - einfach nur um Missverständnissen vorzubeugen. Es ist ja nicht Josef, der den Rock trägt.
Nettes altes braves Mädchen, Ich bin alles andere als ein Rechtschreibexperte, aber drei aufeinander folgende Adjektive benötigen wohl noch ein Komma.
Schräg gegenüber war der kleine Biergarten hier stören mich "war" und "klein"...das eine belanglos, das andere unbestimmt, weil klein nicht in einer Relation steht. Luise bekam einen großen Becher Eis, gefüllt mit vier Kugeln Schokolade und zwei Kugeln Vanille - Marie nur einen kleinen mit zwei Kugeln Erdbeer. Schräg gegenüber lud ein gemütlicher Biergarten zur Entspannung bei einem kühlen Pils ein. Gemütlich ist zwar auch undefiniert, aber es regt die Fantasie an ( Kopfsteinplaster, berankte Gemäuer, alte Laternen mit schummrigen Licht...usw ´....)
da bleibt die Antwort auf die Frage offen blieb wer nun wen wohl überlebt. wer nun wen überleben würde
so jung, wirklich jung, könnte er mit ihr ein Eis essen gehen, vielleicht war sie in zwei, drei Stunden frei. hier warst Du dir untreu - hast den Satz gedehnt, anstatt nach "gehen" einen Punkt zu setzen.
Es war erst früher Nachmittag, sie war seit neun Uhr auf den
sie wischte über die Tischplatten und winkte ihm mit dem Tuch zu. Er winkte mit der Zeitung zurück, ...und er mit der Zeitung zurück
Nach dem Mittelteil, der Wörtlichen Rede, verlässt Du dann gänzlich gewohnte Pfade und kommst mit Sätzen wie...
Sex mit Erika in ihrer Pension, wo keiner was sagte, als er abends nach der Forelle mit hinauf ging, wo ein jüngeres Paar nur so vor sich hin schmunzelte, was er zu bemerken glaubte und was ihn aufregte, er war schließlich kein Piefke in kurzer Buxe, der endlich mal will, wäre für Josef unerfreulich geworden.
...die deutlich zu lang sind.
Aber lasse dich von meinem Gekritzel nicht beeindrucken, denn es bleibt letztendlich unterm Strich eine gut erzählte Story mit Gehalt. Du hast inzwischen wohl so viel Erfahrung gesammelt, dass dir gute geschichten locker von der Hand gehen. Allerdings, wie gut die Geschichte dann wirklich wird, das solltest Du nicht alleine deiner Routine überlassen.
Viele Grüße, A.D.
Der Abschied entziffert die Handschrift einer Begegnung
Hallo Karin, So richtig ins Mark treffen dürften so manch einen die ersten beiden Zeilen. Der Faltenrock allein schon steht für eine ganze Ära; halten tat er vielleicht nicht ganz so lange, aber doch auch wieder lange genug, um als gutes Stück als solches im Gedächtnis zu bleiben. Nicht jeder Mann wäre wohl in der Lage, von da aus, wo sich die Hauptfigur befindet, einen Blick in den Kleiderschrank zu werfen - sozusagen unter den Lodenmantel. In dem Moment wird daraus etwas unglaublich Intimes. Was hier thematisiert wird, lässt an zwei Menschen >unter der Haube< denken. Von da an kann jeder Leser Eigenes vor sich sehen. 'Josephs Meinung' besticht durch die Virtuosität beim ersten Lesen und versetzt einen Stich beim zweiten. Aber was will man mehr. Die ersten Zeilen wiegen auf. Fast wie bei einem Musikstück mit einem vorangestellten andante allegro oder so.
Dankeschön, Emiti, Deine Worte freuen mich sehr. Schön, dass Du gern gelesen hast, gleich doppelt, wirkt deutlicher, alles, da hast Du Recht,
liebe Grüsse, Karin
Dich hatte ich glatt übersehen, A.D., unübersichtlicher als früher ist das hier, unser Altes war schöner. Weg. Danke für Dein statement, nur Routine, ja, das klingt so irgendwie schäbig schlicht wie "Freitags gibt's Fisch, samstags wird gebadet und am Sonntag wird das Weihwasser gefälligst nicht gesüppelt."
Zu Deinen Anmerkungen: Die Tochter hat generell entsorgt, das bezieht sich nicht nur auf den Rock, könnte man aber mit oder ohne ihn stehen lassen. So etwas statt So was ist okay. ...Frau in dem Rock statt im Rock soll das dem für eben diesen besonderen Rock = Faltenrock herausheben, ist aber, denke ich, unwichtig. Nettes altes braves Mädchen hat extra keine Kommata, weil das wie ein Gedankenrattata herübeerkommen soll(-te) ohne Komma-Pause. Klar, man kann es freilich auch grammatikalisch falsch nennen. Zudem: Grundsätzlich mag ich den von Dir benannten (wirst Dir untreu, sagst Du) Wechsel von recht kurzen zu getrost wirklich langen Sätzen, warum auch nicht?, es sollte aber passen. Du bevorzugst da eine klare Linie, auch gut.