Jetzt ist es passiert. In meiner Nachbarschaft. Alle sind aufgebracht, würden den Kerl am liebsten lynchen. Seine zehnjährige Tochter soll er sexuell missbraucht haben, auf grauenvolle Weise. In der Kneipe erzählen sie die blutigen Details. Offensichtlich langweilt das nur einen – mich, während alle anderen es nicht fassen können. Der angetrunkene und verzweifelte Bruder des Täters droht ihn umzubringen, spricht von Familienschande und dem Riesenkerl strömen Tränen aus den Augen, als er sein Mitleid bekundet, mit seiner kleinen Nichte.
Mich lässt es natürlich ebenfalls nicht unberührt, aber ich finde es nicht unbegreiflich, mich langweilt ‘s, spreche von alten Mäuseböcken, von denen ich schon lange weiß, dass es nicht ungewöhnlich ist, die eigenen, noch nicht geschlechtsreifen Töchter, zu besteigen. Nun will mich die aufgebrachte Meute verprügeln. Kann ich verstehen.
Ich mache mich auf den Weg nach Hause. Der Bürgersteig spielt mir einen Streich, schwankt stark, kann mich aber nicht überraschen. Plötzlich spüre ich irgendetwas Hartes an meinem Rücken. Jemand will mir mein Geld abknöpfen. Ich drehe mich mit einem leichten Schlenker um, zeige mich von seinem auf mich gerichteten Schießeisen unbeeindruckt, schlage ihm mit meiner starken Rechten die Nase ein. Er stolpert rückwärts, fällt zu Boden, glotzt mich ungläubig an.
Ich zücke mein Portemonnaie, schüttele den gesamten Inhalt aus, über dem wie gelähmt auf dem Asphalt liegenden Ganoven. Die fünfzig Euro hat er sich redlich verdient, denn so wie bei dem habe ich mich noch nirgends gelangweilt.
_______________________________________________________________ Einen Roman zu lesen ist wie eine Kreuzfahrt, und jede abgestandene Floskel löst sofort eine Flaute aus. (Argus)
der ´Held´ dieser Geschichte, kommt mir vor wie ein total besoffenner Philip Marlowe, ( Romanfigur von Raymond Chandler), welcher durch den Alcohol hier seinen Verstand und auch seine Moral hat eingebüsst. Wenn auch seine Relexe noch einigermassen funktionieren.
Vielleicht ist die Idee für diese Geschichte ja gut, dann sollte sie doch besser zur Geltung gebracht werden.
Sechs auf die Schnelle, na gut! Bei Geschichten, doch wie beim Metzger ´Darf es etwas mehr sein´? Damit man nicht sagen kann: ´Jetzt ist es passiert!´
Wenn du Philip Marlowe solltest kennen, dann weisst du was ich meine. Wenn er dir unbekannt ist, lese Chandlers Bücher. Grosse Klasse der Kriminalliteratur.
Falls deine Reaktion nun ein ´Na und´ sein sollte, kann ich verstehn. gähn gähn!
selbst wenn ER von der Langeweile und vom Mitleid sprichst, steht für mich "na und" in diesem Zusammenhang eher für die Abgestumpftheit - er bleibt vom Überfall sichtbar unbeeindruckt und schlägt sofort zu, was für mich bedeutet, dass er diese Schwelle nicht zum ersten Mal übertritt. Seine Umgebung ist vermutlich ein sozialer Brennpunkt, durchtränkt von Elend und Gewalttaten. Der Onkel sitzt schon unmittelbar nach der Tat in einer Kneipe und stellt sich dem Geschwätz, ist Teil dessen. Vielleicht kennt das LY-I solche Taten aus der eigenen Familie - hat vielleicht auch eine Schwester..... Es langweilt ihn nicht, weil ihn so etwas grundsätzlich langweilt, sondern weil er selbst schon verroht ist.
Gruß, A.D.
Der Abschied entziffert die Handschrift einer Begegnung
Lieber Mande, wenn ich von Mäuseböcken spreche, und dass die Leute am Tresen Ly-I verprügeln wollen, soll ich da noch von Moral predigen. Das will ich dem Leser nicht zumuten. Ist doch indirekt drin als Wink.
Lieber A. D., nun wundere ich mich aber doch über deine Einschätzung des LY-I. Grenzt an einer verleumderischen Unterstellung. ;-) Aus dem Anfang geht ja sofort hervor, dass eine solche Tat sich überraschend in der Nachbarschaft zugetragen hat. Wenn es sich um einen sozialen Brennpunkt handelte mit einem gehäuften Vorkommen solcher Fälle, und eine Gleichgültigkeit bzw. Abstumpfung die Folge sein sollte, so wäre es trotzdem merkwürdig, dass sie sich nur beim Ly-I zeigt und nicht bei allen anderen in der Kneipe. „Na und“ soll dafür stehen, dass dem Prot. nichts „Menschliches“ fremd ist bzw. ihn nicht überraschen kann.
LG Argus
P.S.: Ich glaube, gerade in einem sozialen Brennpunktviertel lassen solche Fälle die Leute nicht unberührt, und sie regen sich besonders darüber auf, weil sie das selber entlastet, „Sündenböcke“ zu verurteilen, selbst bei Knastis stehen jene ganz oben auf dem Index.
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Das ist gekonnt überzogen und provokant, Marke, leicht in den falschen Hals zu kriegen. Ergo: Brisant. Dabei gut geschrieben, der Ton stimmt.
Eine meiner Kurzgeschichten (Langeweile) war vor zwei Jahren ohne mein Wissen Thema einer Deutschstunde an einer Schule im Erzgebirge; daraufhin wetterten Eltern los, von wegen Gewaltverherrlichung u. gefährlich krankem Geist der Autorin, das ging dort an die Presse, der verantwortliche Lehrer bekam dick Ärger. Konnte man damals googlen, die Resonanz steht nicht mehr drin, aber die Story. Selbstverständlich distanziere ich mich persönlich von meinem Erzähler, der nicht Ich ist, literarisch freilich distanziere ich mich nicht, es ist eine meiner Erzählungen, so what?!
Der Typ in Argus' Geschichte wirkt, ja, eben auch gänzlich gelangweilt. Da gibt's nicht mehr viel, das ihn aufregt, Emotionen anderer Art weckt oder empört, weil die Masse an Grausligkeiten so völlig normal ist wie der morgendliche Blick in die Tageszeitung. Diejenigen, die sich in der Kneipe ereifern und den Erzähler fast lynchen aufgrund seiner betonten Gleichgültigkeit, sind oft die Scheinheiligen, die weggucken und ihr nächstes Bier bestellen, während einer mit fremden Augen verprügelt wird.
Dass der Prot. vom Langweilen spricht, soll etwas provokativ wirken. Unser Held kennt die Menschen und weiß wie und warum die Leute so reagieren und dass sie gerne blutige Details zum Besten geben. Welche kann er sich ausmalen; er würde sich auch keine BILD-Zeitung kaufen, die ebenfalls Blut enthalten muss, damit die Leute sie kaufen. Und dass der Täter als Monster hingestellt wird, geschieht nicht nur aus Mitgefühl zu dem Opfer, sondern enthält gleichzeitig ein egoistisches Motiv, um sich selber zu entlasten bzw. zu erhöhen, wobei dem Täter eine Sündenbockfunktion zukommt. Sogar bei den Mördern im Knast steht der Kindesschänder ganz oben auf dem Index, obwohl sie selbst getötet haben. Es geschieht nicht nur aus Mitleid zum Opfer, sondern sie entlasten sich damit selber von ihrer Schuld.
Ich denke aber, ich sollte dazu nicht erweitert Konkretisierendes hinzufügen, es den Leser überlassen. Einzig sollte ich vielleicht nur klarmachen, dass die „Langeweile“ keine Abgestumpftheit/Gleichgültigkeit des Prot. bedeutet. Wenn ihm am Schluss sein Überfaller langweilt, so deswegen, weil der Prot. die Menschen kennt. Wenn ihr mal mit Verbrechern zu tun habt, werdet ihr merken, dass es eigentlich ganz normale Menschen sind, mit „Schwächen“ halt. Und einer, der einen beklaut, ist ja nun häufiger und „langweiliger“ als ein Kinderschänder oder geisteskranker Serientäter.
LG Argus
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Habe jetzt den Schlusssatz verändert, so dass klar wird, dass sich die "Langeweile" nicht aufs ganze Leben des Prot. bezieht. In dem Text geht es ja um Verbrechen:
"Ich zücke mein Portemonnaie, schüttele den gesamten Inhalt aus, über dem wie gelähmt auf dem Asphalt liegenden Ganoven. Die fünfzig Euro hat er sich redlich verdient, denn so wie bei dem Verbrechen habe ich mich noch bei keinem gelangweilt."
Ob ich noch weitere klärende Einschübsel vornehmen muss? Ich denke nicht. Mal schauen.
LG Argus und Danke
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den Schlusssatz hatte ich geändert, weil ich befürchtete, manche Leser könnten den Prot. als abgestumpften/gleichgültigen Typen in Bezug auf sein ganzes Leben wahrnehmen.
Aber ich werde den letzten Satz in der ursprünglichen Fassung belassen. Ich bin auch inzwischen zu der Ansicht gelangt, wenn ein Leser Langeweile (hier in Zusammenhang mit Verbrechen) mit allgemeiner Abgestumpftheit/Gleichgültigkeit gleichsetzt, dann kann ich ihm auch nicht helfen. Außerdem würde ein abgestumpfter Prot. sich wohl schlecht als Ich-Erzähler eignen, widerspräche sich irgendwie.
LG Argus
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16.10.2014 06:50 (zuletzt bearbeitet: 17.10.2014 13:36)
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