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Amputationen

Unveränderter Nachdruck eines Artikels aus der Zeitschrift "Chirurgie − up to date", Heft Nr. 21, Jahrgang 12, S. 15- 20, mit der freundlichen Erlaubnis des Verlags Extramed

Einleitung

Die Arbeit befasst sich mit den Ergebnissen eines jungen Forscherteams, das in einer ausgeklügelten Versuchsreihe an die Grenzen der Amputationstechnik heranging. Sie zeigt, dass sich mit geeigneten Mitteln die Radikalität bei Amputationen weit über das heute übliche Ausmaß steigern lässt. Eingegangen wurde auch auf psychische Reaktionen auf die Behinderung − ebenso auf die seelische Stabilisierung bei sukzessiver*1 (Anmerkungen siehe unten) Beherrschung der Hilfsmittel, die die moderne Prothetik bietet.

Professor Knäuser von der Universität Frankfurt, wo die Versuche im 2. Chirurgischen Institut durchgeführt wurden, lobt in seiner Einleitung die Systematik des Versuchsablaufs und die Konsequenz der Durchführung. Sein besonderer Dank gilt der Opferbereitschaft der VP*2 .

Ablauf

Der Ablauf gliedert sich in drei Hauptphasen. In der ersten Phase wurden die Gliedmaßen nach und nach entfernt. Man begann mit dem Endglied des kleinen Fingers links, fuhr dann fort mit dem Endglied des Ring-, Mittel- und Zeigefingers. Zwischen den einzelnen Operationen lag jeweils ein Abstand von 2 Wochen. Während dieser Zeit hatte die VP Gelegenheit, sich auf die neue somatische*3 Situation einzustellen.

Es folgten die Mittelglieder, zuletzt die Grundglieder. Nach Abtragung aller Finger wurde der Daumens amputiert. Gleiche Reihenfolge anschließend rechts.

Die Vorgehensweise mag langwierig erscheinen, betrug doch der Zeitaufwand für die zehn Finger 56 Wochen, also mehr als ein Jahr. Genügend Menschen haben Gliedmaßenverluste, so dass die psychischen Auswirkungen hier zu studieren wären.

Man wollte der VP jedoch Gelegenheit geben, sich den neuen Begebenheiten anzupassen und bei Bedenken die Versuchsreihe abbrechen zu können, ohne dass bereits tiefgreifende Verstümmelungen eingetreten wären.

Psychisch wurde der Verlust der Finger gut verkraftet. Lediglich bei den Daumen kam es zu leichten Verstimmungen.

Fortgesetzt wurden die Amputationen an den Beinen, wobei man zügiger vorging. In folgenden Stadien wurde operiert: Alle Zehen in einer Sitzung − Mittelfuß − oberes Sprunggelenk*4 − Unterschenkelmitte − Kniegelenk − Oberschenkel.

Auch hier waren die psychischen Alterationen*5 nicht sehr tiefgreifend. Auf Anpassung von Prothesen wurde verzichtet, weil die Zeitdauer von 14 Tagen bis zur nächsten OP*6 zu kurz war. Die VP erlernte jedoch schnell und geschickt das Gehen mit Krücken bzw. Rollstuhlfahren. Sie bekam einen elektrisch gesteuerten Rollstuhl, weil ein manueller*7 wegen der fehlenden Finger ungünstig war.

Im nächsten Abschnitt ging es weiter mit Amputationen an den oberen Gliedmaßen. Diesmal sollte der Umgang mit Prothesen erlernt werden. Die einzelnen OPs erfolgten daher im Abstand von sechs Wochen, wechselweise links und rechts. Dadurch hatte die VP insgesamt 12 Wochen Zeit, sich auf eine neuangepasste Prothese einzustellen.

Abgetrennt wurden nacheinander die Mittelhand, Handwurzel, der Unterarm im Ellenbogen und schließlich der Oberarm im Schultergelenk.

Als Prothesen benutzte man myoelektronische Geräte. Dabei werden Aktionsströme in der Muskulatur des Stumpfes verstärkt und dazu benutzt, Elektromotoren im Schaft der Prothese zu steuern und damit die Kunstgelenke zu bewegen. Dabei entspricht der Bewegungsumfang der künstlichen fast dem der natürlichen Gliedmaßen. Die Prothese gleicht durch die verwendeten Kunststoffarten sehr genau dem natürlichen Vorbild.

In psychischer Hinsicht traten am Ende der ersten Phase ernstere Schwierigkeiten auf. Besonders unmittelbar nach den Operationen traten Stimmungsschwankungen auf. Diese waren reaktiv und letztlich einfühlbar. Die emotionale Lage besserte sich regelmäßig, wenn die Prothesen angepasst wurden. Die VP fand Gefallen daran, die Bedienung zu erlernen und geschickter und sicherer zu werden.

Nach 112 Wochen konnte man zur zweiten Phase übergehen. Diesmal wurde in zweimonatigem Abstand operiert. Erforderlich waren fünf aufwändige Operationen:

* Linke Beckenhälfte unter Belassung der Eingeweide.
* Restliches Beckens mit Entfernung von Dick- und halbem Dünndarm sowie Geschlechtsorganen und Blase.
* Rumpf unterhalb des Zwerchfells einschließlich Nieren. Daher wurden jetzt intravenöse Ernährung*8 und Haemodialyse*9 erforderlich.
* Rechte Thorax*10-hälfte mit rechter Lunge.
* linke Thoraxhälfte mit linker Lunge und dem Herzen.

Es blieben nur Hals und Kopf übrig. Während die Entfernung der rechten Seite physiologisch*11 unproblematisch war, weil die linke Lunge zum Gasaustausch ausreichte, musste der apparative Aufwand nach dem Eingriff links gesteigert werden. Durch Ausfall von Herz und Lungen war eine Herz-Lungen-Maschine erforderlich, die den Kopf mit Fremdblut versorgte.

Technische war die zweite Phase gut zu bewältigen, schwieriger waren psychische Probleme. Es kam zu starken Stimmungsschwankungen − erstmals nach Entfernen der Geschlechtsorgane, als die VP sich ihrer sexuellen Impotenz bewusst wurde. Ein weiteres Tief trat auf, als die rechte Thoraxhälfte abgetrennt wurde und damit der Gebrauch der myoelektronischen Prothese entfiel.

Der konsiliarisch mitarbeitende Psychiater musste zu Rate gezogen werden. Er stellte eine schwere, reaktive Depression fest und behandelte thymoleptisch*12. Die VP sprach gut auf diese Therapie an, so dass sie auch die nächste Krise überstand.

Diese trat auf nach Entfernung der verbliebenen Körperteile und dem damit einhergehenden Verlust der Stimme.

Zunächst wurde versucht, mittels Gebläse Luft in den Kehlkopf zu schicken und so die Stimmbildung zu ermöglichen. Die Ränder der Trachea*13 wurden durch den Druck des Rohres nekrotisch*14. Der Versuch musste abgebrochen werden. Möglich war die Kunststimme durch einen Summer, der auf den Kehlkopf aufgesetzt wird. Die Sprache klingt zwar undeutlich, ist nach Eingewöhnung jedoch verständlich.

Insgesamt war die seelische Situation zu meistern. Zeitweise dachte die VP zwar an einen Abbruch. Die Gesamtpersönlichkeit stabilisierte sich jedoch wieder. Der Forschungsgedanke ließ sie in die dritte Phase einwilligen.

In dieser dritten und letzten Phase entfernte das Team nacheinander Hals, Unterkiefer mit Zunge, Oberkiefer, Nase, Ohrmuschel, Schläfenbein mit Mittel- und Innenohr und schließlich die Augenhöhlen samt Inhalt. Nach vollständigem Abtrennen des Gesichtsschädels wurde die knöcherne Schädeldecke entfernt, so dass schließlich das Gehirn freilag.

Dabei konnte auch die Hypophyse*15 entfernt werden, da diese keine Funktion mehr hatte. Sämtliche Organe, die von den zahlreichen Hormonen der Hypophyse gesteuert werden, waren nicht mehr vorhanden.

Das Gehirn kam in ein Bad aus körperwarmer Flüssigkeit mit der Zusammensetzung des Liquors*16. Die Versorgung des Gehirns wurde erleichtert, weil kein menschliches Blut mehr erforderlich war. Knochenmark und lymphatischen Organe waren entfernt, so dass keine Antikörper gebildet werden konnten.

Das Team verwendete Schweineblut, das direkt aus der Leistenarterie*17 eines Tieres in die Gehirngefäße geleitet wurde. Damit entfielen die Problematik des künstlichen Bluttransportes und der Beatmung, der Ernährung und der Dialyse*18, da diese Funktionen im Tierkörper abliefen.

Nach sechs Tagen musste das Tier ausgetauscht werden. Danach würden Antikörper gegen das menschliche Gehirn gebildet werden. Dem Schwein musste man einen Teil des Großhirns zerstören, so dass nur noch die vegetativen*19 Funktionen übrig blieben. Das Tier durfte sich nicht bewegen, und eine Narkose schied aus. Die Narkosestoffe hätten auch das menschliche Gehirn betäubt.

Zu Kommunikationszwecken hatte die VP in der zweiten Phase das Morsealphabet erlernt. Man ließ ein Stück Kaumuskel und ein ca. 1 qcm großes Hautstück mit den zugehörigen Nervenverbindungen übrig. Der Muskel wurde an einen Morseapparat angeschlossen, die Haut konnte gereizt werden. So blieb die Verständigungsmöglichkeit erhalten.

Psychologisch bedeutete diese Phase den schwierigsten Abschnitt. Mehrfach kam es zu Verängstigungen. Eine besonders tiefe Krise trat beim Verlust der Augen auf. Unter psychiatrischer Betreuung rang sich die VP schließlich doch zur Fortsetzung des Experimentes durch.

Am Hirn-Morse-Präparat kam es zu häufigen Stimmungsschwankungen bis hin zu tiefsten Depressionen mit tagelangem Mutismus*20.

In anderen Phasen herrschten überspitzte Anspruchshaltungen vor mit übersteigerter positiver Besetzung des Kommunikationspartners. In perverser Überlagerung verlangte das Präparat ständiges Streicheln seines Hautstückchens. Falls dieser Wunsch nicht sofort erfüllt wurde, nervte und erpresste es die Betreuer durch ständige unregelmäßigen Morsezeichen. So blieb oft nichts anderes übrig als das Ausschalten des Summers.

Schließlich kam es zu paranoiden*21 Verhaltensweisen mit Verarmungsideen, aber auch Größenwahn und Unsterblichkeitsfantasien. Ganz zum Schluss trat ein stuporöses*22 Zustandsbild bei ganz unauffälligem EEG*23 auf. Auch auf Schmerzreize erfolgten keine Reaktionen mehr. Die Behandlung mit hochdosierten Neuroleptika*24-gaben und schließlich Elektroschocks blieben zunächst erfolglos. Durch einen Kurzschluss im Morseapparat wurde der Haut-Muskel-Anhang koaguliert*25, so dass eine etwaige Heilung nicht mehr objektivierbar war.

Ergebnis:

Trotz psychotischer*26 Entwicklung bestanden während des gesamten Versuchsablaufs lange Perioden subjektiver Zufriedenheit der VP − selbst in der dritten Phase. Solche Amputationen sind bei großvolumiger Zerstörung des ganzen Körpers indiziert*27. Dabei soll das Gehirn funktionell intakt sein, was durch EEG-Kontrollen gesichert sein muss.

Originalarbeit und Literaturhinweise können beim Verlag angefordert werden.
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Anmerkungen:
*1 schrittweise
*2 Versuchsperson
*3 körperliche
*4 ganzer Fuß
*5 Veränderungen
*6 Operation
*7 mit der Hand
*8 „Tropf“
*9 künstliche Niere
*10 Brustkorb
*11 funktionsmäßig
*12 mit stimmungsaufhellenden Medikamenten
*13 Luftröhre
*14 starben ab
*15 Hirnanhangsdrüse
*16 Hirnwasser
*17 Leistenschlagader
*18 künstliche Niere
*19 lebensnotwendigen
*20 willentliches Schweigen
*21 wahnhaften
*22 bewegungsloses
*23 Elektro-Enzephalogramm, Ableitung der Hirnstromkurve
*24 Mittel gegen wahnhafte Erkrankungen
*25 verkocht
*26 wahnhafter
*27 angezeigt

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Diesen Bericht hatte ich auch schon im "alten" Forum eingestellt. Vielleicht kann sich jemand daran erinnern. Er findet sich außerdem in dem Kindle-Sammelband: Da läuft was aus.