Literaturforum - Kurzgeschichten, Erzählungen, Romane, Gedichte - Bücher und eBooks

Zwei Tage verbrachte ich gelähmt vor Furcht und gequält vom Aufbegehren meines unvernüftigen Gewissens am Strand des Hotels. Dann raffte ich mich auf den Nächsten auf der Liste in Augenschein zu nehmen, Luis Romero, alias “Lengua de Trapo” in Puerto la Cruz.
Damit mein Mustang mich nicht verriet, bat ich Joaquin einen Leihwagen zu mieten. Ohne Komentar tat er wie geheissen. Spät am Vormittag fuhr ich nach Puerto la Cruz.
Ich erreichte mein Ziel kurz nach Mittag und mietete ein Zimmer im Hotel “Hosteria del Morro” im Sektor “Los Canales” direkt am Strand ausserhalb der Stadt. Nach einer flüchtigen Inspektion des Zimmers, verliess ich das Hotel durch den Hinterausgang und setzte mich auf das Steinmäuerchen, das den Sandstrand von der schmalen, für Motorfahrzeuge gesperrten, Strasse trennte. Fast ausschlieslich Einheimische genossen hier die Vorzüge des tropischen Klimas. Im spärlichen Schatten der hohen Kokospalmen lagerten Familien mit allem Drum und Dran, Geschirr, Babybadewannen, auf Höchstlautstärke getrimmten Kofferradios und den unvermeidlichen Kühltruhen mit der üblichen Bestückung, Bier, Eis, Rum, Whisky, Coca Cola und optional Säuglingsnahrung. Eisverkäufer zerrten klingelnd ihre Karren durch den Sand, ambulante Verkäufer von Strohhüten, Badetüchern, Sonnenbrillen, Empanadas, Hautkremen, Bier, Bikinis, Modeschmuck und gestohlenen Uhren zogen von Gruppe zu Gruppe. Kinder und Väter liessen Drachen steigen, überall spielten Pärchen Strandtennis, dazwischen jagten Jungen einem Fussball nach. Schönheiten und Schönlinge wandelten am Wasser auf und ab und im Wasser drohten Motorscooter unvorsichtigen Schwimmern eine Hand abzutrennen. In der Ferne über dem Morro kreisten, wie Riesengeier, Parapenteflieger, darunter glittten Segelboote übers Meer. Jedesmal wenn Adela und ich in Puerto la Cruz zu tun hatten und wir keine Lust zum Heimfahren verspürten, waren wir hier in der “Hosteria del Morro” abgestiegen. Immer hatten wir Aufsehen erregt. In Venezuela ist man an gemischte Paare gewöhnt, aber uns begaffte man immer verstohlen. Adela meinte begaffen sei nicht das richtige Wort. Man würde uns anstaunen, weil wir so gut aussähen. Vielleicht hielten die Leute uns für eine Werbung von “Black & White”. Jetzt bereute ich nie in einem der luxuriosen, internationalen Hotels übernachtet zu haben. Wie Adela das genossen hätte. War ich zu geizig gewesen, oder hatte ich mich ihrer vielleicht geschämt? Die Frage war mir lästig. Ich ging zurück ins Hotel, stieg ins Auto und fuhr zum “Paseo Colon”, der Strandpromenade von Puerto la Cruz.
Der Paseo Colon ist eine Geschäftsstrasse, gesäumt, auf einer Seite, von Hotels, Boutiken, Reisebüros, Cafeterias, Nightclubs, Bars, Tascas und Restaurants. Auf der anderen Seite grenzt die Strasse an einen palmenbewachsenen, etwa Fussballfeld breiten Sandstrand, der leider vom Abwasser der Stadt verschmutzt ist. Ungerührt davon tummelten sich Kinder und Jugendliche in der verlockend rauschenden Brühe.
Der Paseo war das allabendliche Ziel der Stadtbevölkerung, der in- und ausländischen Touristen und der Besatzungen der Tanker, die hier anlegten. Ich parkte den Wagen beim Restaurant “Rancho del Tio”, gleich an der Plaza Colon, wo das beleuchtete Riesenkreuz steht. Ich schlenderte zwischen Touristen, Rollschuhläufern, Spaziergängern, Gunstgewerblerinnen und Buhoneros -Strassenverkäufern- in Richtung “Fuentemar”, eines Lokals, dessen Tische unter Sonnenschirmen auf dem zwanzig Meter breitem Bürgersteig auf der Strandseite des Paseos standen. Viele der Buhoneros verfertigten an Ort und Stelle Schmuck und Souvenirs, aber auch farbenfrohe Gemälde tropischer Landschaften. Neugierig blieb ich stehen und fasste nach einem Amulett, das eine Marihuanapflanze eingraviert hatte.
“Was verkaufst du, das Amulett oder was das Amulett darstellt”, fragte ich.
Der Buhonero musterte mich kurz.
“Beides”, sagte er dann gelassen. Als ich mich abwandte, erbot er sich auch Crack zu liefern.
Alle Tische des Fuentemar waren besetzt. Suchend sah ich mich um.
Am Tisch direkt neben mir sass eine junge Dame allein. Als sie aufsah begegneten sich unsere Blicke. Sie lächelte.
“Wollen Sie sich setzen? “
“Ja, danke!”
Bevor sie es sich anders überlegen konnte, setzte ich mich ihr gegenüber.
Sie war weiss, sonnengebräunt, hatte ein hübsches Gesicht, dunkelblond gefärbtes schulterlanges Haar, einen netten Busen, der Rest blieb unter dem Tisch verborgen. Wieso war sie allein?
“Ich heisse Diana”, stellte sie sich vor.
Ich zwang mich zu einem zerstreuten Lächeln.
“Piacere, Lino”, fast hätte ich meine italienische Identität vergessen.
“E italiano, Lei?” fragte sie in der Sprache Dantes.
Ich zögerte. Mein Italienisch war nicht gut genug um eine Italienerin zu täuschen.
“Ja und nein“, sagte ich deshalb geheimnisvoll. In meinem Gehirn begann ich ein kompliziertes Garn zu spinnen, welches diese Antwort rechtfertigen sollte.
“Sono del Alto Adige – ich bin aus Südtirol”, fiel mir dann ein zu sagen. Diana sprach nur ein paar Worte Italienisch. Sie arbeitete mit Touristen erzählte sie mir. Erfreut mit jemanden sprechen zu können, bestellte ich Drinks für uns beide. In dieser Umgebung diente ein Pärchen im angeregten Gespräch als ideale Tarnung. Im Lauf der Unterhaltung wurde Diana zutraulicher und erzählte Einzelheiten über ihre Arbeit. Sie verbrachte hier in Puerto la Cruz nur ein paar Tage, normalerweise “arbeitete” sie im Hotel Hilton in Caracas, wo sie einsamen männlichen Reisenden ihre Begleitung und mehr anbot. Meine Besorgnis, dass meine Gegenwart ihre Kundschaft verscheuen würde, zerstreute sie lachend.
“Siehst du den Dicken da drüben? Der hat schon lange ein Auge auf mich geworfen und sobald du aufstehst, wird er irgend etwas versuchen”, meinte sie.
Als ich den Dicken fixierte, fühlte er sich ertappt und wandte verschämt den Blick ab.
Zwei Tische weiter sass eine Runde von erwachsenen Muttersöhnchen, die in Venzuela “Hijos de papa” –Vatersöhne- genannt werden, ein Ausdruck, der mit der Finanzierungsquelle ihres Lebenstils zu tun hat.
Während ich meine Aufmerksamkeit dem Dicken zugewandt hatte, setzte sich noch ein Mann mit dem Rücken zu mir an ihren Tisch. Ungläubig und verblüfft sah ich wie er unter dem Tisch “Cebollas” verteilte.
Eine Cebolla1 ist Kokain in einer meist schwarzen Plastikfolie die durch Zusammendrehen der Ränder verschlossen wird und dabei Zwiebelform annimmt.
Als der Neuankömmling den Kellner rief, sah ich sein Gesicht von der Seite. Es war der Mann mit dem gebrochenen Unterarm, Luis Romero alias “Lengua de Trapo”.
“Como?” fragte ich zerstreut
Diana erwartete eine Antwort, jedoch ich hatte nicht mitbekommen was sie gesagt hatte.
“Weisst du warum ich es tue?”
“Nein “, antwortete ich und versuchte Interesse zu zeigen.
“Weil ich wenigstens eine Nacht wie eine Königin behandelt werde.”
“Aber es ist doch auch gefährlich. Was, wenn du an einen Geistesgestörten kommst?” protestierte ich.
“Gajes del oficio, - Berufsrisiko.”
Ich stand auf und ging zur Toilette. Auf dem Rückweg zum Tisch erhaschte ich einen vollen Blick ins Gesicht des Jìbaros2. Es gab keinen Zweifel. Das Blut hämmerte in meinen Schläfen. Es war an der Zeit das Feld für den Dicken zu räumen.
Noch in der Nacht telefonierte ich mit Rangel.
Wie immer meldete ich mich als Lino Filizzola und sprach mit heiserer Stimme und starkem italienischen Akzent .
“Romero ist ihr Mann. Morgen wird eine Erfolgsprämie auf Ihr Konto überwiesen. Versuchen sie nun zu ermitteln wer seine Komplizen beim Mord an Giuliano waren.
Meine Familie würde es sehr begrüssen, wenn wir binnen einer Woche ein Resultat hätten. Romero darf aber auf keinen Fall beunruhigt werden.”
“Das geht so nicht. Wir müssen Einzelheiten besprechen.”
Mittels eines vierstelligen Arguments gelang es mir im weiteren Verlauf des Gesprächs Rangel davon zu überzeugen, dass es sehr wohl so ging.

Romero wohnte im Sektor Boyacá in Barelona. Ich machte mich auf den Weg dorthin um die Gegend auszukundschaften und dann einen Plan zu seiner Hinrichtung zu schmieden. Barcelona und Puerto la Cruz liegen nur ein paar Kilometer voneinander entfernt und sind im Begriff zu einer Stadt zu verschmelzen. Boyaca ist ein Arme-Leute-Viertel Seine Bewohner wehren sich hartnäckig gegen das Absinken ihrer Siedlung zum Slum in die “marginalidad”, ins Elend.
Auf der Insel zwischen den Fahrbahnen der Hauptstrasse lag Abfall säuberlich in schwarze Plastiksäcke verpackt und wartete auf die Müllabfuhr, die oft tagelang ausblieb. Streunende Hunde bissen Löcher in die Säcke und balgten sich um verwesende Fisch- und Hühnerköpfe. Wenn sich die grauschwarzen Rauchschwaden aus den Auspuffen der klapprigen Busse verzogen, hing Fäulnisgeruch in der Luft. Der Verkehr war chaotisch, jedoch fand man im Gegensatz zu anderen Stadtteilen immer einen Parkplatz. Hier konnten sich nicht viele Einwohner ein eigenes Auto leisten. Mindestens ein dutzend Beautysaloons boten allein in der knappe zwei Kilometer langen Hauptstrasse ihre Dienste an. Ebensoviele Licorerias1 wetteiferten um Kundschaft. An nächster Stelle in der Häufigkeitsskala rangierten die Loterias2. Es gab zwei Supermärkte, zwei Restaurants, eine Arepera3 und eine Fahrradwerkstadt. Kinder und Greise, Meuten von Jugendlichen, dralle Proletariermatronen, bierbäuchige Männer in Unterhemden und aufgetackelte Vorstadtknospen irrten pausenlos wie geistesgestörte Spinnen durch die Strassen. Vor den Licorerias lungerten die Arbeitslosen und Arbeitsscheuen, Bierdosen in den Händen. Sie sprachen über Baseball, Bordelle und die letzten Morde.
Romero hauste in einer Seitengasse am Ende der Hauptstrasse. Hier musste ich ihm auflauern. Jedoch ein fremdes Auto und ausserdem ein neueres Modell würde in dieser Umgebung sofort auffallen. Also ging es nicht im geparkten Auto zu warten. Es gab auch kein anderes geeignetes Versteck. Überdies war der Fluchtweg nicht vielversprechend. Hier etwas zu riskieren war nicht ratsam. Langsam liess ich den geliehenen Ford an Romeros Haus vorbeirollen. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür. Ich stoppte. Heraus trat Yanira in voller Kriegsbemalung, im Minirock, der ihre Schenkel provokant anpries, mit hochhackigen Schuhen, das lange normalerweise etwas krause Haar sorgfältig geglättet. Hinter ihr kam ein junger Mann ins Licht der Strassenbeleuchtung. Sie gingen dicht nebeneinander am Auto vorbei und blieben ein paar Meter davor am Strassenrand stehen. Offenbar warteten sie auf einen Bus oder ein Taxi.
Durch die Windschutzscheibe blickte Yanira aufmerksam ins Innere des Autos. Sie erkannte mich nicht. War es zu dunkel, war es die Sonnenbrille, oder konnte sie sich nicht mehr an mich erinnern? Möglicherweise erinnerte sie sich höchstens an meinen Mustang? Für viele Damen war das Hauptmerkmal eines männlichen Bekannten sowieso das Baujahr und die Zylinderzahl seines Autos. Bei objektiver Analyse scheint das wenigstens für den Ernstfall nicht einmal so unangebracht, lässt es doch auf die Fähigkeit oder Unfähigkeit des Besitzers schliessen am Monatsende die Lichtrechnung und das Schulgeld der Kinder zu zahlen. Sehr zum Leidwesen besagter Damen ist das Alter des Fahrzeugs dem des Fahrers nur allzu oft umgekehrt proportional. Während ich diesen frauenfreundlichen Gedanken nachhing, fuhr ich im Schrittempo zurück zur Hauptstrasse.
Später im Hotel knöpfte ich mir nochmals die Liste der Freunde Romeros vor. In Cumaná hatte Romero Kontakt mit drei Personen, Adonis Cabrera von der Hafenbehörde, Freddy Gonzalez, Fuhrunternehmer bekannt als “Sin Tornillo” und Hector Redondo, leitender Angestellter im Hotel Bordones, ein Halbbruder des Polizeichefs von Cumaná.

Hi ONivido
Das baut den Spannungsbogen schön auf. Ruhigeres Fahrwasser lässt die Erwartungshaltung steigen.

Gruß,
Tessy

Hello Tessy,
du wirst schon sehen. Es plaetschert weiter.
Gruesse///Onivido