Drei Tage später hatte ich nachgedacht. Mein Entschluss war nicht so sehr die Frucht eines tiefschürfenden Gedankenganges, als vielmehr die Folge der nackten Notwendigkeit. Die Hotelkosten zehrten an meinen spärlichen Finanzen, zudem hatte ich immer noch keine Ahnung wie mein Leben weitergehen sollte. Jakob war weder sonderlich überrascht noch schien er erfreut über meinen Gesinnungswechsel. Am Telefon fragte er lediglich, wo ich ihn treffen wollte. Wir verabredeten uns im Gran Café in der Fussgängerzone von Sabana Grande um sechs Uhr Nachmittags. Das Gran Café besteht aus einem verhältnismässig kleinen Innenraum und einer Vielzahl von Tischen und Tischchen unter Sonnenschirmen auf dem Gehsteig. Gegen vier Uhr setzte ich mich ins Innere des Cafes und beobachtete durch die gläserne Front das Treiben draussen. Ausser der gewohnten Figur des uniformierten Beamten der Policia Metropolitana glaubte ich keinen Polizisten zu sehen. Wenige Minuten vor sechs verliess ich das Café. Niemand folgte mir. Ich schlenderte um den Block und stellte mich vor ein Schaufenster schräg gegenüber des Cafes.Von hier aus beobachtete ich die Gäste. Als Jakob sich an einen Tisch im Freien setzte, blieb ich noch ein paar Minuten auf meinem Wachposten und studierte die Umgebung. Dann ging ich rasch über die Strasse und sagte im Vorbeigehen an Jakobs Tisch: “Komm wir gehen woanders hin !” Ohne auf seine Reaktion zu warten, ging ich bis zur nächsten Ecke. Jakob winkte dem Kellner, zahlte und folgte mir. “Was soll der Unsinn,” schnaubte er verstimmt während wir Seite an Seite zur Avenida Las Acacias marschierten. Ich schwieg und hielt ein Taxi an. Missmutig folgte Jakob meiner Aufforderung einzusteigen. “Zur Fila de Mariche,” sagte ich zum Chauffeur. Jakob zeigte sich verstimmt. “Was soll der Unsinn, “ wiederholte er. “Wir fahren ein bischen spazieren, wärend du mir die Sache über meine Arbeit auseinanderlegst.” Zunächst schwieg er verägert, jedoch nachdem wir ein paar Verkehrsampeln passiert hatten, fing er an zu sprechen. Die Interessenten, die er jetzt nicht mehr als “die Leute“, sondern mehrmals als “seine Leute“ bezeichnete würden für eine Beschreibung des von mir bearbeiteten Prozesses mit allen technischen Daten und meinen Zahlenwerten bereit sein eine Stange Geld auszugeben. Was er als eine Stange Geld bezeichnete, deckte sich keineswegs mit meinen Vorstellungen über diesen Begriff. Ich wollte fünfzigtausend Dollar, er bot zehntausend. Mein Verhandlungsgeschick ist gelinde gesagt nicht besonders ausgeprägt und so kam es, dass er mich mit zwanzigtausend Dollar abspeisste, nachdem er im Verlauf des Feilschens mehrere Anrufe mit seinem Handy getätigt hatte. Dabei sprach er englisch. Bestimmt wollte er mich dadurch irre führen. Nachdem wir die finaziellen Aspekte des Handels zur beiderseitigen Unzufriedenheit erledigt hatten, erörterten wir die Logistic. Ich benötigte einen PC und ausserdem zweitausend Dollar in Bolivares als Vorschuss. Am Ende einer hartnäkigen Diskusion versicherte Jakob mir den PC und das Geld ins Hotel zu bringen. Als unser Taxi die ersten Ranchos der Fila de Mariche passierte, liess ich den Fahrer anhalten und stieg aus. Das Taxi überliess ich selbstlos Jakob zur Rückfahrt in die Stadt und um den Fahrer zu bezahlen. Die Fila de Mariche ist ein niedriger Bergkamm auf dessem Rücken eine Landstrasse zu den Tuy-Tälern führt. Auf beiden Seiten der Strasse haben sich Lagerhäuser, Autowerkstätten, Eisenwarengrosshandlungen, Möbelfabriken und sogar die Zweigstelle einer Bank angesiedelt . Dazwischen drängen sich Ranchos – unverputzte Ziegelwohnkäfige,- Abastos – Krämerläden- und einige improvisierte Carnicerias –Metzgereien- vor deren Türen fliegenumschwärmte Tierkadaverteile aufgehängt sind. Dahinter beginnen die Barrios, Behausungen die den “Cinturon de Miseria“ bilden - den Elendsgürtel,- der die Stadt einschnürt. Der Verkehr auf der Strasse kriecht in start-stop mode. Einparkende Sattelschlepper sperren minutenlang die Fahrbahn in beiden Richtungen, Microbusse halten mitten auf der Strasse, um einen Passagier austeigen oder zusteigen zu lassen. Pannen werden am Strassenrand repariert. Akrobatische Motoradfahrer schlängel sich durch das Wirrwarr von Motorfahrzeugen und Fussgängern. Nichtstuer trinken vor den Licorerias, die Bierdosen oder Rumflaschen in Papiertüten verborgen. Lebensmüde Fussgänger überqueren die Fahrbahn, ohne sich von dem erschrockenen Hupen der Autofahrer zur Beschleunigung ihrer Gangart anspornen zu lassen. Ich marschierte ein paar Kilometer bis zur Fuente de Soda “El Limoncito“ . Dort fragte ich den Kellner nach El Morocho. “Hace tiempo que no aparece por aquí - er kommt schon eine Zeitlang nicht mehr,” log er. “Sollte er zufällig mal wieder vorbeikommen, richte ihm aus El Musiú möchte mit ihm sprechen,” sagte ich freundlich, bezahlte mein Bier und gab zur Gedächtnisstütze ein reichliches Trinkgeld. “Morgen nachmittag komme ich wieder vorbei.”
Jakob hielt sich an unsere Absprache. Am nächsten Morgen brachte er persönlich den Computer und das Geld. Die Taxigebühren hatte er gleich abgezogen. “Schade, schade,” meinte ich resigniert , “ aber ich muss dich jetzt nochmals um Moneten bitten“. “Auf keinen Fall. Wir sind uns doch gestern einig geworden . Geht jetzt das Feilschen wieder von vorne los?” “Mein lieber Freund, ich habe zwar ein ausgezeichnetes Erinnerungsvermögen, dennoch glaube ich nicht Daten aus dem Gedächtnis wiedergeben zu können.” Er starrte mich verständnislos an. “Dummerweise muss ich für einen Einbruch in unserem ehemaligen Haus bezahlen”, klärte ich ihn auf, “ und der kostet mich um die tausend Dollar, ein Umstand der mich dazu zwingt dich jetzt um diesen Betrag zu bitten, da ich ja auch von irgend etwas leben muss bis ich mit der Arbeit fertig bin.” Alle seine Einwäde halfen nichts. Als Jakob mir das Geld von der Bank gebracht hatte, rief ich ein Taxi und wechselte das Hotel. Am Nachmittag traf ich El Morocho, einen Meisterdieb, den ich kennengelernt hatte, als er seinen Zwillingsbruder im Knast besuchte. Ich erklärte ihm bis in die kleinsten Einzelheiten wo im Haus zwischen Dachrinne und Mauer meine persönlichen Unterlagen auf CDs in einer Plastikschachtel zu finden seien. Meine angeborene Abneigung gegen Regeln hatte mich dazu bewogen ein privates Paralellarchiv anzulegen, als back-up sozusagen zu dem bei meiner Arbeitsstelle in einem Safe untergebrachten offiziellen Kopien. El Morocho machte seinem Ruf Ehre. Drei Tage später lieferte er meine CDs. Zwei Wochen darauf gab ich Jakob den PC zurück. Meine Arbeit war auf der Festplatte gespeichert, auf mehrere Dateien verteilt, alle mit verschiedenen Passwörtern vom Zugriff abgeschirmt. Die Passwörter würde ich ihm geben, wenn ich das Geld von ihm erhalten hatte. Diese Vorsichtsmassnahme empörte ihn. Er könne keine Katze im Sack kaufen. Meine Arbeit müsse von Experten begutachtet werden, bevor er dafür Geld ausgäbe. Er drohte überhaupt nichts zu bezahlen. Es gäbe genügend Hacker die den Zugriff für ein Butterbrot möglich machten. Da dieses Argument unwiderlegbar war, einigten wir uns darauf, dass er sechstausend Dollar sofort zahlen würde und die restlichen zehntausend binnen einer Woche nach Erhalt eines Gutachtens von seinen Experten. Gerüstet mit einer teuer erkauften, gefälschten Cedula, – einer venezolanischen Kennkarte, - und der in staatlicher Pension unentgeltlich erworbenen Geduld aalte ich mich eine Woche und zwei Tage am Strand. Pescado frito, – gerösteter Fisch,- Bier und eine mit einer Minitanga verzierte, mollige dunkle Schönheit verkürzten mir die Zeit, bevor ich Herrn Klein erneut anrief. Er teilte mir mit, dass die Überprüfung noch nicht abgeschlossen sei, jedoch hätte der Experte bereits seine Unzufriedenheit über die von mir gelieferten Daten zum Ausdruck gebracht. Zwei Tage später musste ich erkennen, dass Jakob Klein mich hereingelegt hatte. Er machte mir kurzerhand klar, dass die von ihm bereits bezahlten zehntausend Dollar schon ein viel zu stolzer Preis für meine unzulängliche Information seien. Eingedenk unserer früheren Freundschaft verzichtete er auf eine Rückzahlung. Zudem belehrte er mich, dass ich mit Rücksicht auf meine ohnehin schon schwer geprüfte Familie, von Represalien ihm gegenüber Abstand nehmen sollte. Auch appellierte er an meine Dankbarkeit ihm gegenüber. „Wofür soll ich dir denn dankbar sein?“ fragte ich überrascht. „Wer glaubst du wohl, hat deine Flucht arrangiert?“ „Gratis hast du das bestimmt nicht gemacht. Wer hat denn dafür bezahlt?“ „Bezahlt hat natürlich Maria. Sie ist eben eine dumme Gans, aber das Risiko der Bestechung habe ich auf mich genommen.“ „Selbstverständlich unentgeltlich “, sagte ich spöttisch. “Wenn du damit meinst, dass ich dafür kein Geld bekommen habe, hast du Recht. Maria hat mir ihre Dankbarkeit auf andere Weise bezeugt. Übrigens für eine Mutter von vier Kindern ist sie nicht schlecht im Bett.“ Mein Faustschlag war vorhersehbar und kam zu langsam. Jakob wehrte ihn mühelos ab. „Du hast Pech mit deinen Frauen. Sie sind zu geil, oder zu neugierig. Siehe Ninoska. Zwei Polizisten näherten sich. Ich wandte mich ab und hastete die Treppe zur U-bahn hinab.
Hi Onivido Ja, sehr schön. Dramatisch obendrein. Vor allen Dingen ist der Fortgang der Story nicht leicht vorhersehbar und dafür abwechslungsreich zu lesen. Schön, der Umschwung - erst hatte er seine Frau in Verdacht und nun ganz anders herum. Sex, Crime & Surprise - das sind die guten Zutaten.
Danke Tessy, fuers Durchhalten. Schaun wir mal , wie der naechste Teil bei dir ankommt. Viel Spielraum hat der (Un)He(o)ld ja nicht. Gruesse ///Onivido
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Flucht ins Verderben///5
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30.10.2015 20:42
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