Literaturforum - Kurzgeschichten, Erzählungen, Romane, Gedichte - Bücher und eBooks

Mein Name ist James Rider. Ich bin Autor. In den letzten zwanzig Jahren habe ich mehrere Romane geschrieben. Es war alles dabei, Liebesgeschichten, Komödien, Drehbücher, Psycho-Schocker und Krimis. Wie jeder Schriftsteller habe ich erfahren müssen, dass die Schreiberei eine brotlose Kunst ist. Manche von uns müssen lediglich am Anfang den Gürtel enger schnallen, andere dagegen ein Leben lang. Ja, die Schreiberei hat bei dem einen oder dem anderen sogar das Leben zerstört, Ehen und Familien sind auseinandergegangen, nicht wenige nahmen sich das Leben. Die sogenannte Schreibblockade ist der Horror für jeden, der sich mit der Schreiberei beschäftigt. Quillt man anfangs noch über vor Ideen, ist am Ende doch eine gähnende Leere. Man sitzt vor dem Computer, kennt die Überschrift des neuen Romans noch nicht. Die erste Zeile hat das leere Blatt respektive den weißen Bildschirm gerade betreten. Man liest sie wieder und wieder, sie passt nicht, ist nicht rund. Nein., so beginnt keine gute Geschichte. Oder doch?! Vielleicht sollte man warten, bis einen die Muse küsst? Nun ja, mit dem Kuss der Muse ist es wie mit der Liebe auf den ersten Blick. Es soll so etwas geben, sagt man. Jeder wartet darauf, eigentlich läuft das eher nach dem Prinzip Hoffnung ab. Der ominöse Sechser im Lotto. Die Wahrscheinlichkeit ist geringer als die, dass ein Asteroid auf der Erde einschlägt. Man weiß es, und trotzdem spielt man, ja, heute wird mein Glückstag sein! Dann war er es doch wieder nicht … Genau so ist das mit der Muse, ohne die zündende Idee kommt sie nicht bei dir vorbei. Hilf dir selbst und sie wird dir Gesellschaft leisten! Ich weiß, das klingt mehr als theatralisch, dieses Recht nehme ich mir als Schriftsteller aber heraus. Schließlich lebe ich davon, oder nicht?! Am Anfang weiß man nicht, mit was man eigentlich beginnen soll. Bruchstücke von Ideen und Gedanken fliegen an einem vorbei, wie Kometen durch das All. Ganz interessant ist die erste Reaktion. Viele von ihnen vergisst man wieder, eventuell kommt in einem ganz anderen Zusammenhang die Erinnerung an diesen Gedanken wieder. Es sind Bausteine, oft kann man sie in eine Geschichte einbauen. Andernfalls können sie auch Grundsteine sein; was ihnen fehlt, ist der sogenannte „rote Faden“. Man spinnt im handwerklichen Sinne ein Stück an das andere. Bleibt ein solcher Komet im Kopf hängen, hat er die Tendenz, sich einzunisten. Er beginnt zu reifen, wird größer. Dies ist der Moment, in welchem du zur Feder greifen musst. Lass ihn raus, sonst droht dein Kopf zu bersten. Nach meinem Dafürhalten rührt da der Begriff „hirnschwanger“ her. Öffne deinem Werk die Tür, gib ihm die Freiheit! Meine Erfahrung ist, dass es immer wieder Menschen gibt, die dein Werk lesen. Es sind mal mehr, mal weniger. Dem guten Autor kommt es nicht auf den Erfolg an. Jener stellt sich ein, wenn die Story sich verselbständigt hat. Sie ist ein Teil von dir, hat sie dich verlassen, führt sie ein eigenständiges Leben. Du hast eigentlich keinen Einfluss mehr darauf. Sie denken, das ist eigentlich wie mit den Kindern? Sind sie flügge, verlassen sie das Haus? Da liegen Sie goldrichtig. Kinder im Geiste, auch sie muss man irgendwann einmal in die Selbständigkeit entlassen. Warum ich Ihnen das alles eigentlich erzähle? Nun, ich will Sie nicht langweilen, es geht mir nur darum, dass wir uns besser kennenlernen. Dazu gehört meines Erachtens auch, dass man ein wenig von sich erzählt. Mir ist es oft wichtig, zu wissen, welche Meinung mein Gegenüber zu gewissen Dingen hat. Hierzu gehört auch die Einstellung der Menschen zu ihrem Beruf. Oder etwa nicht?! Ja, Sie haben natürlich recht, wenn Sie sagen, dass man nicht allzu neugierig sein darf. Dann handelt man sich eine Abfuhr ein, nach dem Motto: „Das geht Sie nichts an!“. Peinlich, das tut weh, so hat man schon die besten Gespräche kaputtgemacht. Zurück zu mir! Das Schöne am Beruf des Autors ist, dass man zu Hause arbeiten kann. Am Schreibtisch ist man nicht an Öffnungszeiten eines Betriebes gebunden. Es brennt auch schon einmal nachts die Lampe, das ist richtig. Für den Ehegatten und die Kinder eines Schreibers ist das Leben oft nicht leicht. Man ist daheim und doch nur selten verfügbar. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie viele Bücher Angehörigen gewidmet sind? Wie oft Familienmitglieder in Danksagungen auftauchen? Ja, es sind Menschen mit großer Geduld, die einem den Freiraum für die Tätigkeit bieten. Nein, das ist nicht selbstverständlich. Allein die Chance zu bieten, ungestört schreiben zu können, ist die größte Unterstützung, die einem Autor widerfahren kann. Sie stellen sich das schwierig vor? Ja, so ist es auch. Meine Frau Eve und unsere Tochter Mary haben es mit mir nicht immer leicht. Ob ich derzeit an etwas Neuem arbeite? Die Frage wird einem ständig gestellt. Ja, es wird ein Krimi werden. Weiteres wird aber noch nicht verraten … Stört es Sie, wenn ich eine Pfeife anzünde? Danke, ja, in dieser Hinsicht entspreche ich voll dem Klischee eines Autors. Was zuerst da war? Nein, die Pfeife kam, als ich schon geschrieben habe. Kennen Sie mein Buch „Als das Licht ausging“? Vom Hörensagen? Ok.! Ich hatte es gerade beendet, die Story eines Mörders. Er tötete immer nachts, wenn es dunkel wurde. Wenn das Licht ausging, kam er. Seine Opfer haben die Sonne nicht mehr aufgehen sehen … Das Manuskript war fertig, ich hatte es gerade zum Verlag gebracht, um ihm den letzten Schliff geben zu lassen. Die Tage vergingen, ich war auf Ideensuche, widmete mich meiner Familie, um etwas verlorene Zeit aufzuholen. Eines Tages kam ich von der Bank nach Hause, stellte meiner Frau die übliche Frage, ob Post gekommen sei, was sie bejahte. Ich sah die Briefe durch, größtenteils das Übliche. Bei einem Schreiben blieb ich hängen. Ein Brief, die Anschrift mit Schreibmaschine geschrieben, es konnte sogar noch eine mechanische gewesen sein. Kein Absender! Meine Neugier war geweckt. Ich öffnete das Kuvert und faltete den Brief auf:

Hallo James!

So wie Du, geht man mit Menschen nicht um. Du magst Dich in Deinem Ruhm sonnen. Es ist mittlerweile an der Zeit, dass Dir jemand vor Augen führt, welch ein Kleingeist Du bist. Ich bin mir sicher, Du wirst ab jetzt immer an mich denken, wenn „das Licht ausgeht …“.
Ich freue mich schon jetzt auf ein Wiedersehen.

Es grüßt Dich

Ed

Sie müssen wissen, dass ein Schriftsteller natürlich jede Menge Fanpost bekommt. Nicht allen gefällt die neueste Veröffentlichung und so lesen Sie auch so manche unflätige Zeile in dem einen oder anderen Brief. Man kann es nicht jedem recht machen. Aber dieser Brief war anders. Das Manuskript war gerade beim Verlag, niemand sonst kannte den Inhalt. Selbst meine Frau war nur ausschnittsweise informiert. Mit dem Lektor war ich seit Jahren befreundet, er konnte auch mit der Durchsicht nach so kurzer Zeit noch nicht fertig sein. Edward alias Ed war der Mörder in meinem neuen Werk. Wie Sie richtig bemerken, können wir vollkommen ausschließen, dass irgendein Spinner das Buch gelesen hatte und nun Eds Feldzug fortführte, noch dazu gegen mich, den Autor. Und meinem Lektor vertraute ich mehr als alles andere, er tat so etwas nicht. Polizei einschalten? Nein, das haben wir nicht getan. Schreiberlinge reizt so etwas, man will selbst recherchieren. Ja, vielleicht vergisst man darüber die Gefahr. Andererseits: Sie sind Polizist. Ich erzähle Ihnen die Story genauso wie eben … Klar würden Sie mir nicht glauben! Ob es weiterging? Ja! Mary war an jenem Abend schon im Bett. Meine Frau und ich lesen gerne, ab und zu führen wir ein Gespräch. Sie sitzt meistens in einer Ecke der Couch, ich in meinem Schaukelstuhl. Wir lasen beide, als das Licht anfing zu flackern. Es erlosch kurz und ging sofort wieder an. Normalerweise reagiert man verwundert, vielleicht auch verärgert in so einem Fall, nimmt es aber nicht weiter tragisch. Wir hingegen ängstigten uns zu Tode. Ich hatte Gänsehaut, das Adrenalin stand mir bis in die Haarspitzen. Ich schaute durch die Terrassentür auf die Stadt, alle Lichter brannten. Warum ging bei uns das Licht aus, wenn auch nur kurz … ? Meine Frau stand mit blassem Gesicht neben mir, wollte die Polizei rufen. Ich tat mir sehr schwer, es ihr auszureden. Was hätten die ausrichten sollen? Ich meine, das Licht flackerte, fiel kurz aus. Mehr nicht … Nach einigen Tagen kam ein Paket, klein, länglich. Ich öffnete es. Es enthielt einen Miniatursarg, aus Sperrholz. In ihm ein zusammengebasteltes kleines Buch. Auf dem Deckel dessen stand: „Als das Licht ausging“. Darin lag ein Zettel, eine Sterbeurkunde für James Rider! Ich beschloss jetzt doch, die Polizei zu informieren. Meine Frau hielt es nicht mehr. Da unsere Tochter gerade Ferien hatte, brachte ich die beiden zum Bahnhof. Sie fuhren mit dem Zug zu meinen Schwiegereltern. Ich selbst musste in der Stadt bleiben, hatte einiges im Verlag zu tun. Etwa drei Tage später ging ich nach der Arbeit noch in meine Stammkneipe. Ab und zu treffe ich mich mit Freunden zum Gedankenaustausch. So auch an diesem Abend. Das Polizeirevier hatte mir zugesagt, dass sie ab und zu Streife führen und Augen und Ohren offenhielten. Das beruhigte. In dieser Nacht war es nach Mitternacht, als ich zu Hause ankam. Ich öffnete die Wohnungstür, machte Licht an und legte Mantel, Hut und Schuhe ab. Als ich in meinem Arbeitszimmer das Licht anmachte, blieb mir fast das Herz stehen. An meinem Schreibtisch saß ein Mann, vor ihm auf dem Sekretär lag ein Revolver. Ich blaffte ihn an, wer er sei und was er hier zu suchen habe. Wie er überhaupt hereingekommen sei … Ein schiefes Grinsen in seinem Gesicht. „Mein Name ist Ed, wir haben eine Verabredung. Und: Türen, Schlösser, Polizei und dergleichen halten mich nicht auf.“. Ich drohte ihm, er solle das Haus verlassen, ansonsten riefe ich die Polizei. Ein kaltes Lachen, er nahm den Revolver in die Hand und sagte nur: „Glaube ich nicht, deine Telefonleitung ist tot.“. Ich rannte zum Telefon, nahm den Hörer ab. Sollte er mir doch in den Rücken schießen. Die Leitung war tot! Ich setzte mich in einen Sessel. „Also gut! Was wollen Sie?“. „Ein Starschriftsteller, der so begriffsstutzig ist? Komm schon! Du hast mich erschaffen!“. „Was soll der Scheiß?! Woher wissen Sie überhaupt vom Inhalt meines Buches? Ich kenne Sie nicht! Sind Sie vom Verlag?!“. Er lachte wieder, spielte mit der Pistole. „Verlag, was soll ich da? Ich will dir auf die Sprünge helfen. Wenn das Licht ausging, musste ich jemanden töten. Du hast mich dazu gezwungen!“. „So ein dämliches Gewäsch! Sagen sie endlich, was Sie wollen!!!“. Er nahm die Waffe in beide Hände und richtete sie auf mich. „Pass bloß auf! Du hast hier nichts im Griff, nichts! Was ich will? Was glaubst du denn?“. „Wollen Sie Geld? Ich könnte …“. „Baah, du bist so armselig. Armselig, wie das ganze Autorenpack. Ihr erschafft Menschen, zwingt ihnen ein Schicksal auf. Wie aus der Streubüchse. Ein paar Gute, heile Welt, ein paar Arschlöcher, ein bisschen Sex. Dann das Ganze in eine verquickte Handlung verpacken. Schon ist das Menü fertig. Nicht wahr?!“. „Das ist …“. „Halt ´s Maul! Wir haben keine Chance, unser Leben zu gestalten. Ihr zieht die Fäden, wir sind die Marionetten. Ohne Rücksicht auf Verluste. Die wahren Verbrecher seid ihr, ihr in eurer Verantwortungslosigkeit. Kaum ist ein Buch aus den Bestsellerlisten verschwunden, interessiert euch unser Schicksal doch einen Dreck. Neue Gestalten müssen her, die Erschaffung aus dem Nichts. Ihr spielt Gott, teilt uns unseren Anteil am Weltgeschehen zu. Habt ihr uns jemals gefragt, hä?! Ihr entlasst uns in die angebliche Eigenständigkeit, was aus uns wird, ist euch doch egal. Hauptsache, die Kasse klingelt!“. Ich zwickte mich, nein, es war kein Traum. Vor mir saß, sollte ich nicht vollkommen bekloppt geworden sein, die Hauptfigur meines neuen Romans und hielt mir eine Moralpredigt. An dem Vorwurf, ich spielte Gott bei der Erschaffung meiner Charaktere, mochte etwas dran sein. Ich hatte die Figuren bisher nur denken, Dialoge führen und handeln lassen. Ich sagte, wo es lang ging, sie waren mein Sprachrohr. Ob die Figur, betrachtete man sie als real, das auch so wollte, wen hatte das bisher interessiert? Mich nicht! Es war wie ein Schachspiel. Ich spielte allein, das Brett vor mir. Ich machte die Züge, an mir lag es, wann und welcher Charakter das Brett verlassen musste, aus welchem Grund auch immer. Das Brett war die Bühne des Schauspiels, die Figuren eingeteilt in schwarz und weiß. Dass sie nach ihrer Kreation ein eigenes Leben führen, eigene Gedanken haben könnten, kam mir nie in den Sinn. Und, mein Gott, es gab für sie auch ein Leben nach dem Buch. Denn das Leben ließ sich nicht zwischen zwei Buchdeckeln einzwängen. Es ging weiter … „Es tut mir wirklich leid. Daran hätte ich denken müssen. Was wird jetzt?“. „Ist das alles, Herr Starautor? Du bist so erbärmlich!“. Er richtete die Waffe wieder auf mich.

© Thomas Dietsch

Hallo Herr Dietsch,

sehr nette, authentische Zeilen.

Leider scheint dieses Forum vom Aussterben bedroht.

Vor ein paar Jahren war hier deutlich mehr los.

Lieber Gruß und weiter so,

der Chebrö