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Die drei kamen von weit her - vom gewendeten Osten Deutschlands bis zum Gare de l'Est. Die ersten Schritte auf diesem Parkett waren die unmündiger Kinder. Beinahe hätten sie nach der Hand gegriffen.
Im Hause gab's zu essen und ein Plätzchen zum Schlafen. Als dann der Blaue Reiseführer ausgepackt, ließen sich die Routen von Tag zu Tag gekonnter abklappern, genauso gut wie von den Wessis.
Auf einen zweiten Besuch konnte der Mann schon locker verzichten. Er hatte angefangen, sich nachträglich über alles mögliche aufzuregen, so wie über die übernehmenden Wessis. Dafür gab sich der Sohn dann mürrisch für zwei, den Stoff für Klatsch und Tratsch abgerundet heimtragend.
Das dritte Mal kam die Schwester allein. Die Sehenswürdigkeiten waren abgehakt; es kamen Orte dran, die in den vergangenen zwanzig Jahren geprägt hatten, an denen etwas hing vom eigenen Leben. Als etwas ganz Ausgefallenes erwies sich dabei die Kapelle der Wundertätigen Medaille in der Rue du Bac. Plaudernd war man dorthin gelangt, hatte sich ein wenig umgesehen und war plaudernd weitergegangen bis zum Place Montherlant, wo Bänke zum Verweilen einluden. Die Blicke, aus der Enge der Straßen kommend, schweiften über den Fluss und weiter und weiter. Und plötzlich war die Schwester weg - woanders, weit weg.
Die Stadt, die sie in den vergangenen zwanzig Jahren immer wieder mit Mann und Söhnen erkundet hatte, manifestierte sich zum Greifen nahe, und als sie wieder zurück, gab es nur eins:
"Du musst mit uns nach Prag kommen!"
"Ja, gern! Warum nicht. Das wäre doch eine feine Sache! Abgemacht."
Es ist Mai - bis Mitte August ist viel Zeit für die Vorbereitungen. Die aber sind zäh, überschattet. Was soll ich mitnehmen, was anziehen? Keine Ahnung, was da im einzelnen geplant ist. Es kommt auch keine weitere Erwähnung der Reise. Bei mir dagegen rückt eine langwierige, medizinische Behandlung immer näher. Als ich meiner Mutter am Telephon davon erzähle, meint sie sofort: "Da wirst du wohl nicht kommen können!"
In der Tat, es zerschlägt sich alles. Stattdessen sitze ich in den drei Urlaubswochen zu Hause und heule. Mehr oder weniger hatte man im Himmel der Jungfrau Maria damals auch nicht für nötig gehalten. Eher hatte dabei wohl der Anstoß gezählt. Von Rositta, der spanischen Katholikin, war mir jedenfalls eindringlich bedeutet worden, dass ich dorthin zu gehen habe - so offensichtlich schlecht, wie zu der Zeit alles lief.

Doch was sollte Prag damit zu tun haben? Ganz entfernt vielleicht schon - drei Jahrzehnte entfernt. Diese Reise mit einem, der die Unmündige außer Rand und Band gebracht hatte, und Eltern, die dem machtlos zusehen mussten. Ein Verführer? Nein, ein Student noch - bloß bessergestellt, berechnender. Eigentlich sollte wohl nur, wie so üblich, etwas geboten werden - erst von der einen Seite und dann von der anderen. Ungarn bot sich dafür an - alles schon erkundet und für gut befunden, aber auch in Prag sollte die Reise kurz unterbrochen werden.
Bereits mehrfach überfordert waren wir in allerletzter Minute in den Zug Richtung Dresden gesprungen, in den Orient-Express. Prag wurde wohl am späten Abend erreicht, aber jetzt aussteigen und sich in die dunkle Stadt begeben ... war es da nicht besser weiterzufahren und am nächsten Morgen auszusteigen? Der Kurzaufenthalt verschwand in der Versenkung. Bei der Rückfahrt musste ganz offensichtlich etwas dazwischen kommen, doch was machte das schon - damals. Es handelte sich ja um nichts weiter als eine Hauptstadt innerhalb des sozialistischen Lagers - ein bisschen wie dieses oder jenes Ferien- oder Pionierlager mit unbeschwerten Sommertagen.
In Ungarn hatten Bekannte, Gleichgesinnte im voraus Zugang gewährt, wohl in dem guten Glauben, dass da eine mitkommt, die man getrost ins Haus lassen konnte. Nicht eine, die sich später sagen würde, dass sie diesen Menschen unter keinen Umständen hätte begegnen sollen.
Wie zur Ankündigung dessen ließ die erste große Kirchentür unmissverständlich und auf der Stelle spüren, dass da nicht reinzukommen war.
Na und, es reichte ja auch der Blick von außen und das Glockengeläut.
Bis zur Wundertätigen Medaille war es noch eine Weile hin; so manch kleines Hintertürchen sollte sich zwischenzeitlich aber öffnen.
Hier, bei uns liebevoll plaudernden Schwestern, wurde wohl aus der Höh' heraus aufgegriffen, was ausgleichend für einander getan werden konnte. Vielleicht umso mehr als da kein Anliegen vorlag und Berührung, wenn Berührung, nicht mehr als ein Hauch

So langsam verknüpfte sich also Neues wieder mit Altem, doch die Episode Prag hatte meine Mutter sicher nochmal so richtig aufbringen können. Im Vergleich zu manch Dunklem, Aufzuarbeitenden aus dieser Zeit aber eher müßig. Hatte sich doch daraus mit Ehe und Kindern noch etwas machen lassen, das annähernd als Feenmärchen durchgehen konnte. Vielleicht hätte man langsam anfangen sollen darüber zu plaudern, etwas, das es so lange nicht gab in der Familie.
Doch warum sollte ihr daran gelegen sein - diese Zeit war beendet, mit ihr der Ehemann begraben. Die Mittel zur Gestaltung einiger guter Jahre, ganz nach eigenem Gutdünken, hatten sich von da an wundertätig vervielfacht. Auch sie hatte ihre Zeiten und Episoden gehabt, und das waren gute gewesen, um die brauchte man nicht drumherum zu reden.
"Da wirst du wohl nicht kommen können!" - so plausibel es in dem Moment auch geklungen hatte, es muss mehr dahinter gestanden haben. Als Suggestion zieht es jetzt weise, leise seine Runden, so mächtig, dass es quasi dabei bleibt.
Das hatte ich mir nun eingehandelt. Vielleicht sollte ich wenigstens nochmal durchgehen, wie die Familie mit dem Blauen Reiseführer allmählich ihr Stadtbild um Invalidendom und Friedhof von Montmartre aufgebaut hatte, und dann übergehen zu der Frage, was es in Prag für sie wohl so gab. Mit der Zeit lassen sich daraus Schlüsse ziehen, und aus der Kapelle wird in diesem Falle eine Art Schnittpunkt. Diejenigen, die es als ihr Vorrecht betrachten über eine Stadt, so wie über andere, herzuziehen, ahnen wohl kaum, dass ein solcher eine Stadt in die Lage versetzen kann, etwas verlauten zu lassen über jene, die sie betreten.

Wie Du das schreibst, Emiti, gefällt mir: Es liest sich glattweg elegant, gut ungeschnörkelt, ist partout nicht Nullachtfuffzehn-Stil, soweit stimmt's für mich. Indes fällt es mir schwer, mich in die Thematik ein zu finden, da geht wohl was an mir vorbei. Mir fehlt die Erzähl-Linie, vielleicht spüre ich sie noch auf. Ich fände es aber schade um den Text, wenn Du ihn (mir) durch Erklärung näher bringen würdest, das verdirbt immer viel. Hmmm...?! Auf jeden Fall beste Grüsse an Dich, Karin

Ja, werthe Emiti,

eigentlich hat Karin schon dies gesagt, was auch ich hätte sagen können,
nach dem Lesen. Flüssig und ohne Stolpersteine.
Dann sass ich einige Sekunden in Gedankenstille, bis die Frage
aufkam. um was ging es hier eigentlich?

Trotz Nachdenkes wurde mir der Inhalt nicht klar. Und ob es immer
Sinn macht ihn zu erklären, nun, da stimme ich Karin eigentlich
auch zu. Trozdem es schön wäre, der Leser, sicher bis jetzt sind es hier
ja nur zwei, würde nicht im ´Dunkeln´ gelassen.

Was mir auch auffälllt, in dieser Geschichte und auch in Anderen, du
scheinst Paris, wohl persönlich, gut zu kennen.

Ja, gerne gelesen, wie man manchmal ein Bild gerne betrachtet, ohne
es zu ´verstehen´. Dann hilft meist die Fantasie, welche nach dem Lesen
eines unverständlichen Textes, nicht immer hilfreich ist. Zumindest bei mir.

Du hast die Geschichte in Grusel, Horror, makaber und seltsam eingestellt.
Seltsam höschstens für mich, weil ich sie halt nicht verstehe!


Mit freundlichen Grüssen
baroque

Guten Tag, Emiti,

aus dem „i“ schließe ich, dass Sie ein Frau sind, aus dem Text schließe ich, dass Sie mindestens so alt wie ich sind, also kurz vor der Rente oder drüber. Mehr weiß ich nicht von Ihnen, kann also nicht beurteilen, ob der Text Fantasie oder Erinnerung ist. Das spielt auch keine Rolle.
Für mich und nur für mich wirkt der Text wie viele Gedicht in diesem Forum, geschrieben von einem Autor für den Autor. Ein Leser kann damit nicht viel anfangen, es sei denn, er „schwimmt“ auf der gleichen Welle, aus welchen Gründen auch immer.
Wie unterschiedlich doch die Meinungen sind. Frau Kared gefällt der Stil, der Inhalt nicht so sehr, bei mir ist es genau umgekehrt. Ich hatte große Mühe beim Lesen, aber keine beim Denken, kenne ich doch alle Seiten des im Text angerissenen Buches. Das Fühlen blieb aus, was bei der Kürze des Textes normal ist (bei mir jedenfalls!).
Wenn ich ein Wort für den Text sagen müsste, würde ich „Skizzenschnipsel“ wählen.
„gewendeter Osten“ ist ein interessantes Stichwort. Wenden kann man etwas nur, wenn es mindestens zwei Seiten hat. Was passiert mit der Seite, die früher oben war? Was war mit der Seite, die früher unten war? Hat der Wessi eine andere Seite, die nur nicht gewendet wurde und noch bereit für eine Wende ist? Wenn es mehr als zwei Seiten sind, vielleicht sogar viele, beginnt das „Ding“ dann an zu rollen? Sehr interessant Ihre Wortwahl an dieser Stelle. Könnte man glatt ein Buch darüber schreiben.
Es wünscht ein schönes Wochenende, der Gast

Hallo Karin,
Mit einem Erzählfaden ist da wohl nichts. Eher sind es diverse Elemente, bei denen lockere Schräubchen festgeschraubt und festgeschraubte gelockert wurden. Alles in allem vielleicht etwas handlicher dadurch. Wenn ein solches Unterfangen als halbwegs stimmig durchgeht, ist für mich schon viel damit gewonnen. Dir danke ich dafür.
Wobei ... nicht ungesagt bleiben soll, dass ich zu deinen "Kahlen unter dem Kreuz" ein paar eigene Erfahrungen beizusteuern bemüht war. Normalerweise hätte ich der Kapelle nicht eine dreifache Aufmerksamkeit gewidmet. Das hat sich dann aber für die ganze Konstruktion als ausschlaggebend und auf den Punkt bringend erwiesen.
Gruß Emiti

Hallo baroque,
Ich freue mich immer über einen Kommentar von dir, auch wenn meine eigenen Elaborationen nie richtig ankommen.
Da es bei den Diskussionsbeiträgen nicht an dem ist, habe ich mir jetzt gesagt, dass es wohl an dem "Wozu" liegen könnte.
Bei einem großen Thema schreibt man etwas dazu oder um andere Meinungen zu bestätigen oder zu widerlegen.
Es ist eine 'Ant'Wort und nicht bloß ein Wort (zum Sonntag), das gedeutet werden will.

Die Stadt, ja, die kenne ich gut - seit mehr als 40 Jahren - mit allen Höhen und Tiefen.

Gruß
Emiti

Sehr verehrter Gast
An Ihrem Kommentar werde ich noch eine Weile zu knabbern haben - im besten Sinne - hier speziell am gewendeten Osten.
Das sind ja eben so Dinge, die einem, wenn man so richtig drin, einfach so zufliegen, die aber bei näherer Betrachtung die Tragweite erkennen lassen. Verstummt lasse ich da der Wortgewalt das ihre.
Dass Sie sich ein paar Fragen stellen zum Verfasser und sogar noch genau mitkriegen, was da gespielt wird, empfand ich als sehr, sehr ansprechend. Hoffe mehr von Ihnen zu hören oder auch zu lesen.
Gruß
Emiti

Als Bestätigung zur Vermutung bezüglich des Alters siehe hier:
Die Eiffelturm-Linie